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VERSUCH EINER ANNÄHERUNG

“Nicht identifizierbar”, von hinten, durch eine Riffelglasscheibe, oder durch grobe Rasterung aufgelöst, ein Kopf, ein Gesicht, ein menschlicher Körper. Mit den Porträtserien “unidentified Washington D. C. 1999” findet Peter Baldinger zu einer malerischen Sprache der Verweigerung, die sich als widerständig gegenüber den gängigen Präsentationsmustern im zeitgenössischen Umgang mit Porträt erweist. Bereits im Textteil des Kataloges zu “unidentified” beginnt Peter Baldingers eigener Text mit einem klassischen Wort der Verweigerung: Nicht. Auf dieses “Nicht” hin zentriert sich seine malerische Arbeit, eine Passion, die bei Peter Baldinger schon früh durchbricht und ihn nicht mehr loslässt.

1958 in Linz geboren, ist Baldinger ab 1981, als Reporter lebensnaher Bildberichte bei einem Regionalblatt tätig. Über die praktische Anwendung seines Arbeitsgerätes Fotoapparat findet er sich unversehens mit einem direkten Blick auf die Welt konfrontiert, der er sich in diesem Augenblick nicht entziehen kann. Selbst geschützt durch das technische Gerät, erlaubt ihm die Nähe zu seinem Objekt einen Zugang zur Realität, in dem der Anfang seines zunehmenden Unbehagens am Gesicht der Welt seinen Ursprung hat.

Ab 1985 arbeitet Baldinger als Polizeireporter in der Salzburger Redaktion der Kronen Zeitung. 1988 übersiedelt er in die Wiener Redaktion, ab 1989 illustriert zusätzlich er für den “Kurier” im wöchentlichen Farbmagazin. Als man ihm die Übernahme des Gerichtsressorts der “Krone” anbietet, wird er sich bewusst, dass er sich dem Auseinanderklaffen zwischen Realität und seiner Profession im Sinne journalistischer Wiedergabe nicht auf Dauer aussetzen will. 1991 beendet er seine Tätigkeit als Reporter bei Printmedien. Peter Baldingers Arbeit als Bildreporter beeinflusst während all dieser Jahre den kontinuierlichen, niemals abgebrochenen Fortgang seiner Auseinandersetzung mit Malerei und später digitaler künstlerischer Bilderfassung. Nun drängt es ihn, sich wieder verstärkt der Malerei zuzuwenden. Noch findet sich wesentlich das erzählerische Moment im Umgang mit dem bildnerischen Medium, das wird sich in den folgenden Jahren ändern.

Ein Bildjournalist muss bis zu einem gewissen Grad auch immer Voyeur sein, eine Voraussetzung, die bei Baldinger, er spricht von einem “Hang zur stillen und geheimen, allemal voyeuristischen Beobachtung”, existent ist. Aus der Gebrochenheit zwischen Wirklichkeit und Wiedergabe baut sich in ihm eine permanente Infragestellung medialer Praktiken und Präsentationsformen auf. Der Kunsttheoretiker und Philosoph Jean Baudrillard sagte einmal: “… die Medien verhalten sich zur Wirklichkeit, wie eine Landkarte, die das Land überlagert.”

Mit seinen Aufenthalten in den USA ab 1991 zeichnet sich bei Peter Baldinger eine erste Veränderung seiner bisher praktizierten Malweise ab, es entstehen pointierte, auf einen Blick erfassbare Bildgeschichten als Übergang zum konzentrierten Einzelporträt. Entstehen 1991 in Vermont noch narrative Zitate auf amerikanische Familienphotos des 19. Jahrhunderts, wie die Serie “Pets of Vermont”, oder 1994 “Pets of Maine”, so präsentiert Peter Baldinger 1995 mit dem “White Album” einen Rückblick auf seine eigene familiäre Herkunft von der Jahrhundertwende bis in die 1960er Jahre. In diesen Serien begründen sich Anfang und Ende der neuen Arbeiten, die der Künstler nun mehr als “Das Gesicht meiner Welt” bezeichnet.

In einem Akt der Umkehrung des Richtmaßes nach dem Wiedererkennungswert eines Porträts, finden sich ab 1998 Aquarelle auf Papier und Acrylarbeiten auf Leinwand als frühe Verweigerungsansichten des Malers Peter Baldinger. Zunächst findet bei Baldinger die gedankliche Auseinandersetzung mit dem Typus Porträtdarstellung in seiner historischen Entwicklung statt.

Sukzessive veränderte sich über die Jahrhunderte die Bedeutung des Porträts. Anfangs mit Macht ausgestatteter Herrscherkopf, Profil eines angesehenen bürgerlichen Handelsherren oder Patriziers, Bildnis eines hervorragenden Künstlers, das schöne Antlitz einer Frau, wurde das Porträt im 20. Jh. zur Massenware. Medialer Starkult und Model-Hype bilden dabei eine gesonderte Szene. An der Kulturgeschichte des Porträts lassen sich soziale und politische Veränderungen ablesen. Was Peter Baldinger immer wieder beschäftigt ist der Informationsverlust, der zwischen dem Ereignis und seiner medialen Darstellung in den Medien allgemein liegt. 1997, diesmal in Virginia, reagiert er auf diesen, für ihn spürbaren Bruch mit den “Disinformation Drawings”, Arbeiten mit grob gerasterten Bildern, “… sozusagen von Hand digitalisiert”.

Mit dieser malerischen Auflösung des digitalisierten Fotos in die Bestandteile seiner Zusammensetzung könnten für Peter Baldinger und den Betrachter Spuren der entschwundenen Information sichtbar werden, ein “Blow up”, das Grenzen sprengt und verborgene Informationen offen legt. Mit der Reihe “Diffusions”, etwa ab 1999, setzt Baldinger seine Arbeit am Gesicht seiner Welt fort. An der Stelle des Suchers des früheren Fotoreporters befindet sich nun die Riffelglasscheibe des Malers Baldinger. Mit dieser Technik schiebt sich auch hier zwischen die Person Peter Baldinger und dem darzustellenden Objekt ein Gegenstand, quasi ein voyeuristisches Schutzschild, um die Direktheit der Konfrontation zu mildern.

Der Begriff “Diffusion” bezeichnet eine chemische Reaktion der “Verschmelzung”, “Mischung” und „Durchdringung“ von gasförmigen, flüssigen oder festen Stoffen die miteinander in Berührung kommen. Tatsächlich treffen diese Bezeichnungen auf die Szenen und Porträts in Baldingers Arbeitstechnik zu. Das Gesicht, der Körper lösen sich hinter der Riffelglasscheibe auf, die Konturen verbreitern und zerstreuen sich, werden unfassbar, sind durchdrungen vom ungerichteten Lichteinfall und der Materialität der Glasscheibe. Die Erkennbarkeit des individuellen menschlichen Gesichtes wird vom Maler Peter Baldinger diffus gebrochen, unbrauchbar zur Identifikation.

Aus demselben beabsichtigten Grund nicht geeignet zur Identifizierung ist auch die Reihe der Hinterköpfe „Unidentified“, die Baldinger ab 1999 beginnt. Seine Porträts von hinten zeigen hocherhobene Häupter von Personen, die dem Betrachter ihr Gesicht vorenthalten, sich frontal verweigern, das Rätsel ihrer Identifizierung erschweren. Nach wie vor sind es die Menschen, die Peter Baldinger faszinieren: “Solange ich denken kann, habe ich Menschen gemalt!”.

2006 kommt es zu einer Serie: Türkische Einwohner der Städte Hallein und Istanbul. Einige von ihnen blicken den Betrachter an, setzen sich den Blicken der Mitmenschen aus und bewahren auch in dieser Form der Präsentation das Geheimnis ihrer Existenz. Die “Unidentified” Serien unterscheiden sich von den klassischen Porträts durch subversives Hintertreiben vordergründiger Wirklichkeit.

Mit “Disinformation”, “Diffusions” und “Unidentified” konfrontiert Peter Baldinger den Betrachter mit einer negativen Dialektik, die mit einer “Ästhetik des Erhabenen” einhergeht. Der Philosoph Jean-Francois Lyotard verbindet das Erhabene mit Unendlichkeit, die sich seinem Denken nach nur in einer negativen Form zeigen kann. Baldinger verweigert sich der Endlichkeit, indem er Grenzen auflöst, indem er fest gefügte Muster sprengt. Trotzig beharrt er auf der Unendlichkeit des Möglichen, indem er paradoxe Kunst produziert. Und – um sich selbst nicht zu begrenzen – auch immer wieder Menschen in ihrem Sosein.

Der Kopf, das Gesicht, der Körper des Menschen sind gleichsam Orientierungsmerkmale für den Mitmenschen. Wenn jemand wie Peter Baldinger diese gesicherte Fassbarkeit in Frage stellt, stößt er damit in andere Dimensionen vor, die im Bereich des intuitiven Erfassens liegen, das nicht logisch begrenzt werden kann, also unendlich ist. Erst in der Ungewissheit eröffnet sich Unendlichkeit.

WEEPING WOMEN – INTERVIEW

Peter Baldinger im Interview zu seinem Werk, seinem Zugang und der Klammer seiner Serien. Ein wenig lässt er in die Zukunft blicken.

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Der Dompfarrer, der Künstler und der Tod

Toni Faber und Peter Baldinger über Kunst und Tod. Viele Anstrengungen der Menschen lassen sich als Versuche deuten, den Tod zu überwinden und etwas zu...