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TÖDLICHE BOTSCHAFT

Zur installativen Trilogie Papergun, low resolution paintings sowie burning books von Peter Baldinger im Papiermachermuseum Steyrermühl und im Thomas Bernhard-Haus in Ohlsdorf


»Schieß!«
US-Western
Das Werk von Peter Baldinger impliziert in der Regel immer vielfältige Bezüge auf Räumliches, Kunsthistorisches, Literarisches oder auch Technisches. Dies gilt auch für seine neueste, drei Werkpassagen umfassende Arbeit, die In-situ-Installation Papergun, die Bildserie low resolution paintings sowie fotografische Arbeiten zum Thema Bücherverbrennung (im Bernhard-Haus in Ohlsdorf). Betritt man den Raum der ehemaligen Chlorbleiche der alten Papierfabrik Steyrermühl (dem einst chemisch hochgiftigen Arbeitsbereich der Fabrik), findet sich, eingespannt in die historischen Eisenträger, ein immenses Blow-up einer Smith&Wesson-Pistole.


Betrachtet man sie jeweils frontal von vorn und von hinten, figuriert sie ikonisch wie eine echte, überdimensionale Pistole. Von der Seite gesehen löst sie sich jedoch in 44 sequenzielle Schichten auf, die sich bei näherer Betrachtung im dunklen Raum als aus Papier gefertigt entpuppen und frei im Raum zu schweben scheinen.


Was sich im ersten Moment als skulpturales Papierwerk offeriert, welches in dekonstruktiver Weise eine analytische Erweiterung des Skulpturbegriffes zu implizieren scheint und zugleich mit (provokativen) Bildstrategien der Pop-Art hantiert, eröffnet semantisch eine gänzlich andere Dimension, die ihren Ausgangspunkt im literarischen Werk und in Äußerungen von Thomas Bernhard hat, wo er einmal davon spricht, dass man auf Papier auch jemanden umbringen kann, wenn auch nur auf dem Papier.


Es ist die semantische Bedeutungskollision von Pistole und Papier, welche den Brückenschlag zum Werk von Bernhard bildet – ein effizientes Tötungsinstrument, wie es die Pistole darstellt, entpuppt sich als »papieren«, also machtlos, während sich Text auf Papier oft als machtvoll und tödlich erweisen kann. Die Themen Macht, Gewalt, Tod, unabdingbar mit Pistolenwaffen verknüpft, werden hier mit der Medienmacht und -gewalt von Zeitungen, Büchern etc. verschränkt, die sich auf dem Trägermaterial Papier manifestieren (man denke etwa an das Buch Auslöschung von Thomas Bernhard). Das Bedrohliche der papierenen Pistole erfährt durch den Transfer zur Macht der Printmedien eine neue und unerwartete Bedeutungsaufladung. In Folge stehen aber auch die mögliche Macht und Gewalt ästhetischer Äußerungen wie Bilder oder Werke generell zur Diskussion.


Diesen Brückenschlag macht Peter Baldinger im Kontext der speziell für das Papiermachermuseum realisierten Installation Papergun mit seiner großformatigen Bildserie low resolution pantings, die sich thematisch mit Tod und Gewalt auseinandersetzt; man lese nur die Bild-titel Skull, Ben als Tod, die Bezug auf den mit dem Künstler befreundeten Schauspieler Ben Becker nimmt, der im Jedermann in Salzburg zurzeit wieder den Tod darstellt, oder Targeting You – sie alle verweisen auf eine Ästhetik der Gewalt.


Seit vielen Jahren beschäftigt sich Peter Baldinger mit der Erfahrung digitaler Bildtechnologie und damit auch mit Mediengewalt. Im künstlerischen Selbstverständnis als Maler setzt er sich in spezifischer und neuer Weise malend mit digitalen Bildformen auseinander. Anders als die immanente künstlerische Verfahrensweise der Analyse, wie wir sie im vielfältigen Zusammenhang mit digitaler Fotografie kennen (es sei hier im Kontext des Salzkammerguts etwa auf das rezente Werk der zu Unrecht so wenig rezipierten Künstlerin Inge Dick verwiesen, die seit Anfang der 1980erJahre am Mondsee lebt und arbeitet). Baldinger geht es nicht um ein intrinsisches Sichtbarmachen bloß technologischer Notationen und der daraus resultierenden ästhetischen Effekte, sondern um den Transfer in die Malerei und die daraus resultierenden möglichen pikturalen und
gesellschaftlichen Erkenntnispotenziale. Und erinnern die quadratischen Pixelelemente nicht fatal an
quadratische Zielscheiben, wie sie öfter bei Wettschießen verwendet werden?


Gezielt arbeitet er dabei mit den digitalen Pixeleffekten, ihrer quadratischen Matrix (Matthias Boeckl hat dies bereits früher eingehend zum Werk des Künstlers dargelegt). Im Transfer etwa mit Aquarell auf Papier werden sie für ihn zu einer Möglichkeit, das genuine Medium und damit dessen (gewalttätige oder machtbezogene) Dimension zu unterlaufen. Basierend auf der Pixelmatrix werden Mediensichten entfaltet, die vom Ikonischen bis hin zum Abstrakten der Pixelbilder reichen. Wesentlich dabei ist, dass Baldinger immer Bezug auf ein reales Sujet (hier vor allem Porträts) nimmt und so Pixeleffekte transferiert und relationiert. Er verbindet mit dieser Verfahrensweise den Aspekt der Mediensicht mit der Frage nach Sichtbarkeit und damit nach visueller Wirklichkeit generell. Es geht weiters vorrangig um die essenzielle Frage nach bildtechnischer Medienmacht und deren Vernichtungspotenzial als Wirkung auf den gesellschaftlichen »Körper« des Einzelnen als Effekt von Bildbeschleunigung: Speed kills!


Als dritter Diskurs figuriert nicht zufällig das fotografische Bild. Mittelformatige Colour-Prints, auf Aluminium kaschiert, thematisieren, dokumentieren und reflektieren die fotodigitale Ästhetik von verbrannten Büchern. Ohne konkrete historische oder politische Ereignisse zu inkludieren, sind sie Zeugnisse von kultureller Vernichtung, wie sie in jeder gesellschaftlichen Epoche als Folge von Gewalt, Krieg oder sonstiger Aggression stattfanden und stattfinden. Die im Bernhard-Haus in Ohlsdorf präsentierte fotografische Serie knüpft unmittelbar an Äußerungen von Thomas Bernhard an, aber auch an seine Erfahrung der Beschlagnahmung seines Buches Holzfällen in den 1980erJahren. Aufgrund des dokumentarischen Charakters hat bis heute kein Bildmedium derart verheerende Tötungsfolgen ausgelöst wie das fotografische Bild. Die Wiedererkennung – der ikonische Code (Fahndungsfotos: »Wanted«! Siehe dazu Baldingers frühere Arbeiten Most Wanted aus der SerieDiffusions) – machte sie zu einem effizienten Tötungsinstrument (Roland Barthes hat gemeint, Fotografen seien »Agenten des Todes«); ihre Rhetorik – ein »Foto schießen«, »auf den Auslöser drücken« – assoziiert per se das verbale Arsenal der Waffenrhetorik. Peter Baldinger allerdings, versucht sie durch seine Bildstrategie der Diffusionierung zu unterlaufen.


Im dokumentarischen Potenzial der Fotografie liegt ihr genuines Gewaltpotenzial in Form von Wahrnehmungsfokussierungen. Das scheinbar banale (Her-)Zeigen von Bücherverbrennungen zeigt zugleich das Ruinöse der Zeitlichkeit als antizipierte Tötung. Peter Baldinger fokussiert die ästhetischen Prozesse dieser tödlichen Freisetzung von Zeit in der fotografischen Metaphorik des Verbrennens als Prozess der »Auslöschung«: Der fotografische »Schuss« wird zur Verblindung der Welt durch die fotografische Belichtungszeit. Der fotografische Tod ist die mediale Überbelichtung der Welt, die Gewalt des fotografischen Lichtes im Brennpunkt der (Belichtungs-)Zeit. Wenn nach Thomas Bernhard die Kunsthistoriker die großen Kunstvernichter sind (siehe Alte Meister), so ist die Fotografie die große Weltvernichtung. Erst durch die Fotografie wird die Welt endgültig vernichtet, sie ist die größte Weltvernichterin, die allergrößte Weltvernichterin. Gäbe es die Fotografie nicht, gäbe es keine Weltvernichtung …, könnten wir analogisierend Thomas Bernhard paraphrasieren. Der künstlerische Diskurs ist ein besonderer Weg der Bedeutungsgewinnung. Peter Baldinger ist sich dessen nicht nur bewusst, er lotet diese Bedeutungsgewinnung durch das projektive Moment der Wahrnehmung sowie durch den Transfer von Medienbedeutungspotenzialen auch aus, indem er sich jedweder medialer Vereinnahmungstendenz im künstlerischen Prozess entzieht.

WEEPING WOMEN – INTERVIEW

Peter Baldinger im Interview zu seinem Werk, seinem Zugang und der Klammer seiner Serien. Ein wenig lässt er in die Zukunft blicken.

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Der Dompfarrer, der Künstler und der Tod

Toni Faber und Peter Baldinger über Kunst und Tod. Viele Anstrengungen der Menschen lassen sich als Versuche deuten, den Tod zu überwinden und etwas zu...