MEDIA

„PAPIER IST EIN SO ZARTES, FRAGILES MATERIAL, UND DOCH DAS TÖDLICHSTE…“


MB: Was hat eine Pistole im Papiermachermuseum verloren?
PB: Das Papiermachermuseum ist in unmittelbarer Nachbarschaft von Thomas Bernhards Refugium in Ohlsdorf gelegen. Da das Werk des Autors schon seit Langem eine große Rolle für mich spielt – er spricht mir praktisch aus der Seele –, lag es nahe, mich genau in dieser Ausstellung damit auseinander-zusetzen. Die Pistole nimmt Bezug auf eine Aussage Bernhards, dass er auf dem Papier jemanden umbringen könnte. Das hat er zu Hellmuth Karasek in einem Spiegel-Interview gesagt. »Jedes Wort ein Treffer« ist ja auch ein Spruch von ihm, zu dem meine Pistole treffend passt. Papier ist ein so zartes, fragiles Material, und doch das tödlichste, nicht nur im übertragenen Sinne. Papier ist der Träger von Botschaften. Und die können banal, revolutionär und eben auch tödlich sein.


MB: Welchen Bezug zur Raumstruktur der alten Halle gibt es?
PB: Bei der Planung der Ausstellung bin ich durch die ganze alte Papierfabrik gegangen und habe mich sofort für diesen ehemaligen Maschinenraum begeistert. Die archaische Struktur des Raums mit den gusseisernen Säulenreihen ist ideal für meine Rauminstallation. Die Säulen mit ihren massiven Querstreben werden zur Halterung meiner überdimensionierten Papergun, praktisch wie eine Lafette. Es entsteht der reizvolle Kontrast von finsterem, schwerem Stahl – dem eigentlichen Material für Waffen – und weißem, leichtem Papier. Eine wesentliche Komponente einer Ausstellung sollte grundsätzlich sein, einen Bezug zum Raum herzustellen, denn die Kunst steht ja nicht für sich, sondern immer in einem Kontext. Gegebenenfalls wird das Objekt erst durch den Kontext zum Kunstwerk. Für Duchamps Ready-mades und Objets trouvés beispielsweise war das ausschlaggebend. Meine Kunst reagiert mit ihrer Materialität auf die ursprüngliche Funktion des Raums.


MB: Warum ist deine Pistole in Papierschichten zerlegt?
PB: Genau das ist der Kern der Idee. Ein archaisches, schweres, metallenes, kaltes Tötungsintrument mit all seiner Präzision und Geschwindigkeit, dem ich seine Macht nehme, gerade indem ich es überdimensional vergrößere. Eine Handfeuerwaffe, die man nicht mehr handhaben kann. Die Filetierung war mir notwendig im Zusammenhang mit dem Material Papier. Natürlich könnte man auch aus Papier ein naturalistisches Modell schaffen, das Wesen von Papier ist für mich jedoch das Blatt in seiner Zweidimensionalität. Das große Ganze ergibt sich durch die Summe der Einzelteile.


MB: Woher kommt diese Zerlegetechnik? Sind ihre Wurzeln in deinem eigenen, oder auch im Werk anderer, etwa von Pop-Künstlern, zu finden?
PB: Mich interessiert das gleichzeitige Vorhandensein und Nichtvorhandensein. Bei der Papergun verhält sich das folgendermaßen: Von schräg vorne betrachtet ist die Form als solche erfassbar, man sieht eine Smith&Wesson. Von der Seite betrachtet hat man keine Ahnung. In all meinen Arbeiten spielt der Betrachterstandpunkt eine wesentliche Rolle. Ich mache darauf aufmerksam, dass die Dinge nicht immer sind, was sie auf den ersten Blick zu sein scheinen, sondern alles eine Frage des Standpunkts ist. Das gilt letztlich auch für meine Malerei: So sind meine low resolution paintings aus der Nähe betrachtet abstrakte Farbfelder, erst durch die Distanz werden sie zu gegenständlichen Darstellungen. Natürlich ist die Zerlegung der Form schon bei Cézanne ein Thema, sie wird von den Kubisten radikalisiert und taucht immer wieder auf. Am meisten beeindruckt haben mich aber die PolaroidCollagen von David Hockney.


MB: Weist die Pistole auf Aggressionen hin, und darf Kunst aggressiv sein?
PB: Natürlich spiegelt die Pistole die latente Aggression wider, die wir alle täglich empfinden. Und da komme ich wieder zu Thomas Bernhard, der eben sagt, dass er auf dem Papier jemanden umbringen könnte. Der Schriftsteller, dessen Waffe eben seine Sätze sind, der Künstler, der unverhohlen ausspricht, was er denkt.
Kunst darf alles, und daher darf Kunst auch aggressiv sein. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass Kunst aggressiv sein soll.


MB: Warum gibt es bei dir so oft literarische (Bernhard) oder kunsthistorische (Warhol, Tintoretto) Anspielungen?
PB: Weil alles eine Vorgeschichte, eine Herkunft hat. Man steht nicht isoliert für sich, sondern ist immer an einem bestimmten Punkt einer Entwicklung. Mich interessieren immer die Bilder und die Schriften derer, die vor mir etwas gedacht haben. Diese Art von »Kaspar-Hauser-Tum«, wie sie heute im Kunstbusiness weitverbreitet ist, widert mich an. Ich bin sozusagen hintergrundbesessen, will immer wissen, woher kommt, was mir einfällt. Darum liebe ich es, nachzulesen, nachzuschauen.


MB: Was ist die Rolle des Betrachters in deinen Installationen, ist er Teil des Werks?
PB: Wird das Werk nicht erst durch den Betrachter relevant? Kunst wird für Rezipienten geschaffen.


MB: Welche Rolle spielen Medien, wie etwa Bücher, Buchdruck, Zeitung oder Pixelrasterung, in deiner Arbeit?
PB: Eine bedeutende, so wie in unser aller Leben. Außerdem ist das wieder so eine Sache der Herkunft, schließlich war ich früher Journalist. Ich hatte ständig mit Murenabgängen, Banküberfällen, trauernden Hinterbliebenen von Verbrechensopfern und so weiter zu tun. Bis ich schließlich erkannte, dass die Diskrepanz zwischen dem persönlich erlebten Ereignis, der selbstverständlich verknappten Darstellung in der Zeitung und schließlich der vollkommen davon unterschiedlichen Erkenntnis des Lesers für mich problematisch wurde. Genau dieser Zwiespalt wurde zum Ansatzpunkt für meine künstlerische Arbeit.


MB: Ist die Medienwahrheit eine schlechtere Wahrheit als jene der sogenannten Realität?
PB: Only bad news are good news. Es kann fast nur schlechte Medienwahrheiten geben, denn sie wollen ja verkauft werden. Das liegt in der Natur der Sache. Und dieser Umstand kann nur immer schlimmer werden, denn die ständig notwendige Erhöhung der Geschwindigkeit der Verbreitung von Nachrichten sorgt dafür, dass die Qualität der Recherche und damit des vermittelten Inhalts zwangsläufig abnehmen muss. Die Wirklichkeit ist erfreulicherweise schon allein deshalb besser, weil sie mit dieser Geschwindigkeit nicht mithalten kann.


MB: Was ist die Aufgabe der Kunst in der Mediengesellschaft?
PB: Wie zu jeder Zeit muss auch heute die Kunst gesellschaftliche Gegebenheiten welcher Natur auch immer hinterfragen. Sie muss Fragen aufwerfen, aber nicht zwangsläufig Antworten liefern. Keinesfalls sollte sie jedoch zur Dekoration verkommen mit dem einzigen Anspruch, chic zu sein.

MB: Wie steht es um den Originalbegriff des Werks in der digitalen Ära?
PB: Es gibt diese schöne Geschichte: Giorgio de Chirico hatte Besuch in seinem Atelier und zeigte einen wunderbaren Rubens. Der Besucher war begeistert und fragte: »Ist der echt?« »Aber selbstverständlich«, antwortete de Chirico, »Ich habe ihn doch selbst gemalt«. Die Frage wurde also schon lange vor der digitalen Ära beantwortet.

WEEPING WOMEN – INTERVIEW

Peter Baldinger im Interview zu seinem Werk, seinem Zugang und der Klammer seiner Serien. Ein wenig lässt er in die Zukunft blicken.

...

Der Dompfarrer, der Künstler und der Tod

Toni Faber und Peter Baldinger über Kunst und Tod. Viele Anstrengungen der Menschen lassen sich als Versuche deuten, den Tod zu überwinden und etwas zu...