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IM GESPRÄCH MIT PETER BALDINGER

UG: Deine Ansichten menschlicher Köpfe von hinten, implizieren für mich Verunsicherung und Verweigerung.
PB: Verweigerung und Unsicherheit hängen eng zusammen. In jedem dieser Bilder ist viel von mir, auch von meinem Schutzmechanismus, nicht fassbar zu sein. Eine Unfassbarkeit, die gleichzeitig Anziehung ausübt. Die von mir dargestellten Menschen können nicht auf den ersten Blick eingeordnet werden. Sie sind zugleich realistisch und, speziell bei Riffelglasbildern, auch abstrakt. Diese Vorliebe für einen latenten Unsicherheitszustand hängt mit meiner Biografie zusammen. Ich wurde zur Sicherheit erzogen: alles sollte in geregelten Bahnen verlaufen und gehalten werden, jedes Abweichen von bürgerlich festgeschriebener Normalität erzeugte Angst. Tagtäglich wurde Sicherheit gelebt. Irgendwie habe ich selbst mich dabei mit der Angst verbündet und lebe Unsicherheit. Und um Überleben zu können, habe ich für mich festgelegt, dass der Wunsch nach absoluter Sicherheit ein katastrophaler Fehler ist. Sicherheit ist mir suspekt, es gibt sie nicht.


UG: Wie wirkt sich das auf deine künstlerische Arbeit aus?
PB: In erster Linie produziere ich einfach Bilder. Ich empfinde eine starke Notwendigkeit, mir ein Bild zu machen.


UG: Ein Bild ist immer ein Bild von etwas.
PB: Ich beobachte die Welt und die Menschen als optisches Ereignis, so mache ich mir ein Bild. Ich beschäftige mich nur mit der Optik der Äußerlichkeit. Ich nehme die äußere Hülle wahr und mache davon ein Bild. Ich halte die Geringschätzung der äußeren Erscheinung für falsch, weil ich weiß, dass sie immer für etwas steht.


UG: Die Oberfläche ist also nicht rein oberflächlich?
PB: Jegliche Oberfläche steht in einem Zusammenhang mit dem von ihr umgebenen Inhalt, steht für etwas, beispielsweise für das Gefühlsleben eines Menschen. Die Oberflächenhülle kann auch etwas vortäuschen, ich schaue auf die Oberfläche, ich versuche aus ihr den Inhalt zu lesen.


UG: Und du erfährst dabei etwas Neues?
PB: Ich lerne daraus, mache meine Erfahrungen. Lernen ist letztlich das einzige, was am Ende jeden Tages zum Eigenen dazugekommen ist. In meine Darstellung des Erlernten lege ich aber nichts hinein. Ich meine, ich bringe die Erkenntnis nicht in den Vordergrund. Ich male oder zeichne nur die äußere Optik, das Bild zu kommentieren überlasse ich dem Betrachter.


UG: Willst du im Betrachter etwas bewirken, Kunst beansprucht doch einen gesellschaftlichen Auftrag?
PB: Um den so genannten Auftrag kümmere ich mich überhaupt nicht. Sich ein Bild zu machen, ist eine Notwendigkeit des Menschen. Ich mache es. Fertig.


UG: Im Sinne des Künstlers als Genie, der aus einem inneren unbestimmbaren Antrieb heraus schaffen muss?
PB: Ich will einfach ein Bild herstellen, weil ich es muss. Ich will ein Bild machen, weil ich natürlich etwas mitzuteilen habe, unabhängig davon, was andere darin sehen.

UG: Du musst dir also dein eigenes Bild machen. Hast du selbst einen Erkenntnisgewinn?
PB: Ja, wie schon gesagt, den habe ich. Jedes einzelne Bild bringt mich einen Schritt weiter. Jede Serie komplettiert ein unbestimmtes Konvolut, das von mir letztlich gemacht werden muss, jedes fertige Bild ist ein Bild von mir, das ich von der Welt gemacht habe. Letztlich gestaltet man so die Welt. Das tut jeder. Ich gestalte meine Welt.


UG: Mit jedem Bild von dir erfahre ich etwas über mich und zugleich über dich.
PB: Darüber, dass ich gegen den Aberglauben der kollektiven Sicherheiten anrenne.


UG: Stellst du dem Betrachter die Frage nach Gewissheit? Du willst Sicherheiten aufbrechen und bist dann selbst verunsichert, stehst also aus eigenem Wunsch auf unsicherem Boden, in einer selbst verursachten Ungewissheit?
PB: Ich interessiere mich nicht dafür, den Betrachter etwas zu fragen, vielmehr stelle ich die Frage ständig an mich selbst. Ursprünglich, etwa in Höhlenmalereien, hatten Bilder die Aufgabe zu bannen. Meine Bilder bannen etwas Unbestimmtes. Sicher ist nur, ich male nicht ohne zwingenden Grund, habe aber noch keine Antwort auf meine Fragen. Ich weiß nur, dass ich niemanden belehren will, weder politisch, noch religiös, oder gesellschaftskritisch. Niemanden, außer mich selbst.


UG: Du wehrst dich gegen etwas Unbestimmtes?
PB: Ich wehre mich gegen die Pflicht zur Korrektheit, gegen das Regulativ, dagegen, dass soviel wie möglich stimmen, richtig sein muss. Das ist mir zuwider, das interessiert mich nicht.


UG: Was für viele stimmt, stimmt für dich also nicht, ist für dich nicht relevant?
PB: Ich denke, dass immer nur stimmt, was für den Einzelnen stimmt. Viele glauben, sich an Regeln halten zu müssen, um außer Gefahr zu sein. In der künstlerischen Arbeit muss man das nicht.


UG: Die Gesellschaft hält sich den Künstler, weil er Regeln bricht?
PB: Es ist genau umgekehrt, ohne Künstler gibt es die Gesellschaft nicht. Eine in Regeln und Sicherheit erstarrte Welt ist nicht lebensfähig, da sie sich nicht weiter entwickelt. Der Künstler ist der Gesellschaft immer einen Schritt voraus. Er schlägt etwas vor, das von Anderen als Modell aufgegriffen werden kann.


UG: Peter Baldinger zeigt also letztlich mit seinen Bildern die Ungewissheit der uns umgebenden Welt.
PB: So ist es wahrscheinlich. Etwas anderes könnte ich nicht zeigen, da ich etwas anderes nicht sehe.


UG: Du malst Individuen, weil sie den Unsicherheitsfaktor darstellen?
PB: So wie ich den einzelnen Menschen sehe, zeigt ein Bild der Unschärfe, der Unsicherheit für den Betrachter. Ein Porträt von hinten, ein Individuum durch eine Riffelglasscheibe betrachtet, vermittelt Unschärfe und hinterlässt Unsicherheit.


UG: Deine Individuen befinden sich in einem andauernden Schwebezustand?
PB: Ich hebe sie aus der Masse hervor, aber sie bleiben undeutlich. Ich will damit sagen: Was man sieht muss nicht sein, was es ist. Wir leben mit Vorurteilen, die wir ständig anwenden. Das ist nicht von vornherein negativ, sondern eher selbstverständlich, weil wir ein optisches Sinnesorgan haben. Wir ordnen unsere optischen Eindrücke in den Katalog unserer Erfahrungen ein. Das ist fürs erste auch normal. Schlimm ist nur, wenn wir aus Bequemlichkeit oder Unbelehrbarkeit beim ersten Eindruck bleiben und diesen nicht korrigieren, auch wenn bereits eine bessere Erkenntnis vorhanden ist. Ich habe Vorurteile und muss sie auch immer wieder neu überprüfen. Dabei lerne ich.


UG: Wie kommt es zu der Serie von Porträts türkischer Menschen?
PB: Jedes Projekt hat unmittelbar mit dem momentanen Erleben zu tun. Ich war in den vergangenen Jahren oft in Istanbul, habe Freunde dort. Es gibt eine starke Verbindung dorthin. Und da ich meine Sujets immer bei den Menschen finde, die mich gerade umgeben, kam es dazu.


UG: Du malst ausschließlich Menschen?
PB: Alles andere braucht nicht porträtiert zu werden.


UG: Weshalb?
PB: Es gibt perfekte technische Medien, die Oberflächen, Situationen punktgenau darstellen können. Wie eine Landschaft wirkt, oder wie sich ein Ding angreift, kann ich auf einem Hochglanzfoto sehen und dadurch fühlen. Menschen sind deshalb das einzig Interessante, weil sie eben diese lebenden Unsicherheitspakete in einer Oberflächenverpackung sind.


UG: Menschen haben auch Körper.
PB: Das Porträt nimmt in der Geschichte der Malerei eine besondere Stellung ein. Es hat einen langen Entwicklungsprozess gemacht, ausgehend von der Darstellung von Göttern, Herrschern, Helden, Kirchenfürsten, später reicher Kaufmänner, Bürger … Alle diese Dargestellten besaßen Macht, sie standen irgendwie über den anderen. Mit den Hollywood-Diven änderte sich zwar der Inhalt, aber nicht das Konzept: Jemanden Außergewöhnlichen darzustellen, bzw. ihn durch die Medien außergewöhnlich erscheinen zu lassen. Jetzt kommt es zur Vermischung: Schönheit zum Beispiel wird über das Verkaufsargument als Modell, als Konsumartikel benützt. Und das millionenfach. Da interessiert mich die Frage nach Anonymität bei gleichzeitiger Individualität.


UG: Daher der Wunsch ein individuelles Porträt zu machen?
PB: Es existiert eine Massenindustrie für Individualität.


UG: Gehst du dagegen an?
PB: Warum sollte ich? Es ist der Stoff für meine Bilder. Ich bemerke diese Entwicklung und gebe mit meinen Bildern einen Zustandsbericht. Gleichzeitig darf Kunst nicht trocken sein. Sie soll auch Spaß machen.


UG: Du machst nun seit rund zehn Jahren immer wieder Porträts, die den Kopf von hinten abbilden. Hat sich an Deiner Einstellung nichts geändert?
PB: Doch. Die entwickelt sich natürlich weiter. Es verändern sich auch die Bilder, die Technik oder Arbeitsweise. Es gibt ja unzählige Möglichkeiten des Filterns, das Unschärfe erzeugt. Ich schneide ja auch hunderte kleine Portraits aus Zeitungen aus, arrangiere sie zu Tableaus und übermale sie, sozusagen mit zu grobem Pinsel, um die individuelle Kontur zu verwischen. Aber es besteht kein Grund, meine Serie von Hinterköpfen nicht fortzusetzen.


UG: Du produzierst also tatsächlich Negativikonen, wie Anton Gugg in seinem Salzburger Kunstlexikon über dich schreibt?
PB: Mir gefällt der Ausdruck. Ja.

UG: Deine Kunst ist also konzeptiv?
PB: Es gibt nur konzeptive Kunst, alles andere hat vielleicht mit Dekoration zu tun, aber nicht mit Kunst.


UG: Kann man sagen, dass du das Porträt als Hinterkopf, als deine Erfindung ansiehst?
PB: Ich habe nichts erfunden, ich habe nur eine Sicht gewählt. Das Gesicht des Menschen ist so angelegt, dass es den Anderen anspricht, diese sichere Codierung entfällt bei meinen Porträts. Meine Porträts kommen ohne primäre Ansprechfaktoren aus.


UG: Steckt da auch der Gedanke dahinter, dass jedes Individuum im Kern seines Wesens unfassbar bleibt?
PB: So ist es eben.


UG: Dahinter verbirgt sich auch das Geheimnis des Künstlers Peter Baldinger?
PB: Ich habe kein Geheimnis. Ich bin durch das, was ich mache, erkennbar. Durch die Beschäftigung mit dem Geheimnis der von mir porträtierten Menschen gebe ich mich bereits preis.


UG: Steckt dahinter eine Scheu vor den Menschen?
PB: Ja, ich male mir die Menschen weg.

WEEPING WOMEN – INTERVIEW

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