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Individualität gilt allgemein als entscheidendes Merkmal des Porträts. Doch schon in der Antike brachte die Darstellung des menschlichen Antlitzes eine repräsentative und politische Aussage zum Ausdruck. Es gilt als Faktum, dass eine Reihe von griechischen Bildnissen nicht die individuellen Züge der Porträtierten trug, sondern deren idealisierte Wiedergabe. Die Identität beschränkte sich daher wohl nur auf den Namen in der Inschrift am Sockel. Aber wann ist diese Grenze zwischen Real und Ideal wirklich nachvollziehbar? Und stellt sich die Frage nach der Individualität des Porträts heute wirklich völlig neu? Damals wie heute spielten Kriterien wie Auftraggeber, Ausstellungs- oder Aufstellungsort, Zeitpunkt und Inhaltlichkeit des Bildnisses eine Rolle, mit Ausnahme des repräsentativen Aspekts, auf den das zeitgenössische Porträt zumeist gänzlich verzichtet. Vor allem die heutige Werbe- und Life-Style Industrie benützt eine vorgetäuschte Individualität, um ihre Inhalte zielgruppenorientiert zu platzieren. So gesehen ist das Bild nie nur ein Abbild, sondern auch ein Bild der Gegenwart, im Umfeld des Dargestellten oder des Fotografen und Künstlers. Im Zentrum der Ausführungen stehen die Bildsprache und deren Inhalte. Selbst dort, wo anscheinend eine private Charakteristik wiedergegeben wird, in den Chatrooms, Facebooks und Singlebörsen des World Wide Web, regiert das Spiel des Tarnens und Täuschens. Das Internet bietet in den Weiten seiner Kommunikationsräume unendliche Möglichkeiten der Selbstdarstellung zwischen Realität und Wunschvorstellung. Es generiert eine Identität, die vom Repräsentativsten bis zum Intimsten alle Abstufungen durchlaufen kann. Das Gesicht fungiert dabei als Mitteilungsmedium und Membran einer digitalen Begegnung. Spätestens seit Andy Warhol durchbrach das Porträt die Grenzen zur Werbeindustrie. Hier drückt das Porträt kaum Individualität aus, sondern wird zur Projektionsfläche und ordnet sich der individuellen Handschrift des Modefotografen unter. Dies wurde kurz unterbrochen durch die Popularität der “Big Five”, jener Models, die ad personam Karriere machten, von Cindy Crawford, Linda Evangelista über Claudia Schiffer bis hin zu Kate Moss. Heute benützt die Werbeindustrie auch die Porträts bekannter Schauspielerinnen und schafft dennoch einmal mehr Stereotypen, allein schon durch die Möglichkeiten der Bildbearbeitung. Doch schon Andy Warhol zeigte, dass die stilisierte Wiedergabe eines Gesichts mittels weniger Merkmale zum “Must Have” wurde. Dass er eines der beiden Porträts von Joseph Beuys mit einem Camouflagemuster überzog, mutet in der Übersetzung aus dem Französischen mit Irreführung, Täuschung und Tarnung nahezu als ein Vorgriff auf die späteren Möglichkeiten einer digitalisierten Bildbearbeitung an. Was zeigt also ein Porträt wirklich? Selbst Sokrates vermisste die Charakteristik einer Person in der bloßen Abbildung der äußerlichen Physiognomie. So fragte er den Maler Parrhasios: “Warum ahmt ihr nicht auch die seelischen Eigenschaften nach, das Überzeugendste, das Angenehmste, das Holdeste, das Begehrenswerteste?” Doch der Maler antwortete: “Wie könnte denn etwas nachzubilden sein, mein lieber Sokrates, dass weder Gleichmaß, noch Farbe, noch sonst etwas hat, noch überhaupt sichtbar ist?”.¹ Wobei anzumerken ist, dass selbst Sokrates nicht vom Abbilden, sondern vom Nachahmen sprach. Das heißt, das Porträt kann im besten Fall dem Dargestellten ähnlich sein, wirklich erfassen kann es eine Person nicht. Es stellt nach Parrhasios im besten Fall das dar, was man sieht. Dennoch kann ein Porträt benutzt werden, um Stimmungen und Gefühle darzustellen, doch sind dies bereits Interpretationen und konzeptuelle Überlegungen des Malers oder Fotografen. Das Gesicht wird dazu benutzt, etwas auszudrücken, was jedoch eventuell mit der Identität der Person nichts mehr zu tun hat. Der Umgang mit der Realität des Fotos und der Anspruch des Betrachters, damit tatsächlich ein Bild der Wirklichkeit vor sich zu haben, bildet daher die Basis der konzeptuellen Überlegungen des Malers Peter Baldinger. Geboren 1958 in Linz, arbeitete er bis Anfang der Neunzigerjahre als Journalist. Die Distribution von Fotografie in Tageszeitungen und Magazinen ist dem heutigen Wahlwiener nicht nur vertraut, sondern wurde auch in seiner künstlerischen Tätigkeit zum kontinuierlichen Thema. Und hier vor allem die Erfahrungen “mit dem Schein und Sein unserer mediatisierten Welt”.² Die Darstellung des menschlichen Körpers und das Porträt sind daher die zentralen Themen seines malerischen Œuvres. Doch zielte Peter Baldinger stets auf eine Verfremdung, sodass die von ihm dargestellten Menschen nicht auf den ersten Blick erkennbar sind. Entweder malte Peter Baldinger seine Modelle von hinten oder er verlieh dem Porträt eine Unschärfe, indem er den Dargestellten durch ein Riffelglas fotografierte und dieses als Vorlage für seine Malerei verwendete. Natürlich ging es in diesen Arbeiten auch um eine visuelle Befragung von Subjektivität, doch letztlich zielte Peter Baldinger darauf, die reale Vorlage soweit zu reduzieren, dass die Malerei sich eindeutig in den Vordergrund spielte. Mit der Werkserie Facebook ist er diesem Vorhaben bisher am nächsten gekommen, indem es ihm gelungen ist, seine Malerei an jener Grenze anzusiedeln, wo sie zwischen Realität und Abstraktion oszilliert.

So sind seine, aus jeweils 80 quadratischen Farbfeldern bestehenden Bilder abstrakt – und dennoch reale Porträts.

Als Vorlage dienen Porträtfotos aus dem Internet, die der Künstler zunächst mithilfe eines Computerprogramms überarbeitet und so stark vergrößert, dass die fotografische Darstellung des Gesichtes als Pixelgrafik am Computer erscheint. Da diese jeden einzelnen Bildpunkt exakt beschreibt, sind die Farben jedes Bildes eindeutig der jeweiligen Vorlage zuzuordnen. Die Farbrasterung ist daher trotz seiner Abstraktion eindeutig auch ein Porträt. Doch gibt die Malerei nicht vor, ein physiognomisches Abbild einer Person wiederzugeben. Peter Baldinger zeigt in seiner Malerei ganz pragmatisch ein Abbild eines digitalen Fotos, dargestellt in der Struktur von Rastergrafiken. Das Sujet des Porträts wird so seiner Geschichte und charakteristischen Subjektivität entleert und auf die farbliche Zusammensetzung aus Bildfeldern reduziert. Es liegt ein demokratischer Zug über seiner Werkserie Facebook, denn alle Bilder bestehen aus 80 Farbfeldern, egal wie groß sie sind und wen sie abbilden. Kate (Moss) und Andy (Warhol) stehen daher gleichwertig Porträts gegenüber, die weit weniger bekannte Gesichter aus dem persönlichen Umfeld des Künstlers zeigen. Als einziger Tribut an ihre Identität erhält jedes Porträt als Titel den Vornamen des Dargestellten. Letztlich ist der Realismus seiner Bilder in seiner Pragmatik frappierend, indem sie nicht vorgeben, etwas anderes zu sein, als sie sind, denn auch das Foto in der minimalen Auflösung von 72 dpi am Bildschirm zeigt uns nichts anderes als ein Bild, bestehend aus einer Anzahl von Pixeln. Die scheinbar willkürlich zusammengesetzten Farbquadrate sind eine exakte Übertragung der digitalen Bildanalyse, und so verlieh auch der hohe Weißanteil der Pixel am Computer der Serie ihre charakteristischen Pastelltöne und nicht die individuelle Farbwahl des Künstlers. Peter Baldinger geht in seinem Malprozess nicht von der Realität der Natur aus, sondern orientiert sich an der indirekten, digitalen Wirklichkeit des Computerbildes, das er auf die Leinwand überträgt. Ein Raster aus Farben, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Der Anspruch an die Realität eines Bildes im Internet ist Chimäre und erzählt nur von unseren Ansprüchen an die Fotografie, indem wir Dinge erwarten, die die Fotografie gar nicht leisten kann. Sie kann nur einen Augenblick festhalten und weder das Davor oder Danach. Hier hat die Malerei weitaus mehr Möglichkeiten, das Thema Zeit zu integrieren. Und selbst dort, wo die Fotografie von Ereignissen erzählt, geht durch die Notwendigkeiten des Layouts und die Schnelligkeit der Datenübermittlung stets ein Teil ihrer Geschichte verloren. Das Bild wird verkleinert oder ein Detail als Ausschnitt genommen. Die Fotografie ist eine Konstruktion desjenigen, der hinter der Kamera steht, meinte der Fotokünstler Thomas Struth in einem Interview.³ Die Realität der Bilder ist daher bereits eine des Fotografen und wird später zu einer der Distribution von Daten und ihrer Konsumation durch den Betrachter. Die Digitalisierung hat zusätzlich ein breites Spektrum von Sichtweisen und Wahrnehmungen generiert, zwischen Montage und Dekonstruktion. Die Fotografie wird zum Faktum des Fragmentarischen und die Kunst realisiert sich im Hinweis auf die jeweiligen Lücken dazwischen. Dass die zeitgenössische Kunst daher die Darstellung des menschlichen Antlitzes im Kontext einer forcierten Auseinandersetzung mit Identität und Authentizität wieder in den Mittelpunkt rückt, ist evident. Peter Baldinger blendet diese Themen im Bild aus, in dem er sich auf dessen materielle Beschaffenheit konzentriert und damit gleichzeitig auch fixiert, dass die Realität einer abgebildeten Person stets nur eine Fiktion sein kann. Doch generiert Peter Baldinger durch die Transformation des Computerbildes in die Malerei dennoch für jedes Porträt ein individuelles „corporate logo“.

Der Betrachter muss das Bildnis jedoch aus den Farbfeldern enttarnen.


Die Kopfform genügt für die Erkennbarkeit, aber auf der Suche nach der Authentizität stößt man an seine Grenzen. Die Realpräsenz des Gegenübers bleibt bewusst ein Defizit zwischen Abbild und lebendigem Urbild des Porträtierten.

WEEPING WOMEN – INTERVIEW

Peter Baldinger im Interview zu seinem Werk, seinem Zugang und der Klammer seiner Serien. Ein wenig lässt er in die Zukunft blicken.

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Der Dompfarrer, der Künstler und der Tod

Toni Faber und Peter Baldinger über Kunst und Tod. Viele Anstrengungen der Menschen lassen sich als Versuche deuten, den Tod zu überwinden und etwas zu...