Normalerweise will man sein menschliches Gegenüber genau sehen. Am besten, man blickt ihm oder ihr in die Augen. Eine Verweigerung dieses Begehrens lässt nichts Gutes ahnen – sei es beim Lover, bei der Freundin oder beim Chef. Von Angesicht zu Angesicht – steht über dem Haupteingangstor der Kommunikation gemeißelt. Alles, was diese Konfrontations- aber auch Verständigungsmaximierung trübt, löst Unsicherheit aus. Und das Überdenken des Spannungsfeldes zwischen Ich und Ich, Ich und Du, Ich und die anderen, Ich und wir – kurz von allem, was das Individuelle und Gesellschaftliche ausmacht. Genau dieses äußerst komplexe Feld der Vereinsamung und Entfremdung des Einzelnen unter vielen anderen Einzelnen in Zeiten der umfassenden Technisierung, des digitalen Beinahe-Totalersatzes für Fleisch und Blut interessiert den Maler und Zeichner Peter Baldinger. Genau in die sich immer weiter öffnenden Gräben zwischen verständigungslosen Menscheninsulanern stößt der gebürtige Linzer und seit kurzem am Mondsee lebende Künstler von Beginn seiner Bildproduktion an.
Es gibt viele eindrucksvolle Serien, in denen Baldinger – ein hartgesottener Medienmensch und nebenbei Marketingspezialist – den Verlust des Gesichtes und der Seele konstatiert. Der Künstler weiß auch von Berufs wegen, was in der Wunderwelt der elektronischen Bilder und der Flashnews so läuft, wie sich das alles in der Verarmung des Humanen niederschlägt. Als schöpferischer Geist reagiert er auf die rasante Anonymisierung der Gesellschaft mit Gegenbildern zum Geläufigen. Baldinger findet schlagende Symbole für die Auslöschung des Individuellen, Unverkennbaren. Er weiß auch, dass die einfachste Verkehrung des sogenannten Normalen die größte Wirkung zeitigt. So blendet er schwarze Sichtbalken über die Augenzone weltberühmter Bildnisse und zeigt Menschen nicht von vorne, sondern von hinten. Am bekanntesten sind die Hinterkopfporträts – akribisch-realistische Schilderungen von Schädelformen, Haartrachten mit und ohne Kopfbedeckungen, Blößen und anderen Eigentümlichkeiten, die ebenso individuell wie austauschbar sind. Diese Negativ-Bildnisse sind das Gegenteil der klassischen Porträtauffassung. Sie sind anormal. Aber was ist schon normal in einer paralysierten Gesellschaft, der nichts wichtiger ist als Vernetzung und Highspeed-Infotransfer.
Peter Baldingers Kardinalthema – die gelegentlich sarkastisch betrachtete Gefangenschaft des modernen Einzelwesens in seiner Gesichtslosigkeit, Isolation und Einsamkeit – hat sich nicht geändert, nur hat der Künstler jetzt eine andere realistische Symbolik gewählt. In den „Diffusions“ ist es der ganze Körper des Gegenübers, der in seiner scharf erfassten Unschärfe den Betrachter irritiert und zwingt, diese zwischen Auge und Akt, beziehungsweise Menschengruppe gerückte Verzerrungszone zu korrigieren. Jedermann, Jederfrau will immer und überall klar sehen und so arbeiten die an Superimax gewöhnten Konsum- und Raffblicke an der Reparatur des deformierten Menschen. Niemand kann diesen vorgeblichen Blick durch eine Riffelglasscheibe wirklich akzeptieren.
Baldinger hat auch mehr und Tieferes gemalt als die banale Gegebenheit der Weltwahrnehmung durch einen filternden Blickschutz, wie er auf Baumärkten handelsüblich ist. Es ist kein Trivialeffekt, der hier inszeniert wird. Es ist nicht mehr und nicht weniger als die existentielle Auflösung des Einzelnen, das Zerfallen von Zentren und Konturen, von menschlicher Physiognomie, die hier in vielen Variationen vorgeführt wird. Dieser kritische Aspekt scheint wichtiger zu sein als das Angebot an das Auge, die abstrakte Musik der Fleckenströme, der Licht- und Schattenkaskaden für sich zu genießen. Der Mensch und besonders der zeitgenössische ist ein unsicheres, ungesichertes Wesen. Seine scheinbare Ruhe ist so leicht zu stören wie der Spiegel einer Wasserfläche. Der Mensch von heute ist das Gegenteil der Fernsehwerbung, die inzwischen nur noch aus Hautstraffern und Haarfärben, aus Antiagingprodukten, Wellnessangeboten und bakteriellen Gesundheitssoldaten zu bestehen scheint.
Das alles sagt ja nur, dass die Wirklichkeit eine ganz andere ist und die Sehnsüchte nach erosionsresistenter Komplettheit des Körpers in den Himmel schießen. Baldinger malt die Wahrheit des kollektiven Unbehagens und Unsicherheitsgefühls. Er malt die zerrinnende Sicherheit, er malt Phantome. Nicht der Oper, sondern des alltäglichen Lebens. Unter den Künstlern, die mit den Grundmitteln der realistischen Malerei Fragen an die gefährdeten Bedingungen des Menschseins stellen, gebührt Peter Baldinger ein herausragender Platz.