Peter Baldingers Vanitas-Allegorien im Wiener Palais Sturany
Peter Baldinger, Oberösterreicher und Wahlwiener des Jahrgangs 1958, ist ein Künstler, der von Anfang an unkonventionelle Wege beschritt. Er wählte nicht die „klassische“ Ausbildung an Kunstschulen, sondern erarbeitete sein Wissen und Können in der Realität. Wobei es gerade diese „Realität“ und ihre verfremdeten Reflexe in den Medien sind, die ihn künstlerisch beschäftigen. Baldinger ist einer der wenigen Künstler des Landes, die sich auf Basis professioneller Erfahrungen mit Schein und Sein unserer mediatisierten Zivilisation beschäftigen. Und auch die Moral zur Debatte stellt, die da anzuwenden wäre. Mehr noch, Baldinger integriert – ebenfalls auf Basis langjähriger professioneller Erfahrungen im Produktionssektor des österreichischen Museenbetriebs – auch noch die Kunstgeschichte in seine visuelle Befragung der heute subjektiv zu erlebenden Realität. Im Wiener Palais Sturany, das sich in der Gründerzeit einer der erfolgreichsten Baumeister der Ringstraße ebendort als repräsentativen Wohnsitz errichtet hatte, zeigt Baldinger nun neue Arbeiten, die sich mit Schönheit und Tod, mit Wahrheit und Trugbild befassen. Der Ort ist durchaus sinnfällig, zeigt er doch gleichzeitig Größe und Vergänglichkeit einer einst als unzerstörbar geltenden gesellschaftlichen Realität. Bauherr Sturany hatte keine geringeren als Franz Matsch und Gustav Klimt mit der Ausstattung seiner Repräsentationsräume in der titelgebenden „Bel Etage“ beauftragt – die Deckenbilder dieser jüngsten Ringstraßenmaler sind noch heute zu bewundern. Das Haus wurde zuletzt von der Universität Wien genutzt und wird demnächst von seinem Eigentümer, der Bundesimmobiliengesellschaft, einer neuen Nutzung zugeführt. Der kurze Zeitraum zwischen alter und neuer Verwendung bietet sich perfekt für eine temporäre Ausstellung an dieser prominenten Adresse an. Baldinger nutzt das für die Präsentation mehrerer Serien groß- und kleinformatiger Acrylbilder. Die Serientitel “Nude Diffusion”, “Flash”, “Skull”, “Most Wanted” und “Unidentified” geben klare Hinweise auf die Themen. “Verunklärung”, “Unidentifiziert”, “Meistgesucht” – all das sind Begriffe, die uns aus der Medienberichterstattung über Kriminalfälle bekannt sind. In der Tat hatte Baldinger nach kurzem Kunstschulstudium einige Zeit als Gerichtsreporter gearbeitet. Es gibt wohl kaum einen anderen Ort, an dem man die extreme Diskrepanz zwischen der erlebten und der mediatisierten Realität intensiver erfahren kann. Hier echte Menschen, die Leid erfahren, da ein Rasterbild mit Balken, was zwar Persönlichkeitsrechte schützt, damit aber auch das Menschsein relativiert. Mit einem Arbeitsaufenthalt 1997 in den USA kam Baldinger in direkteren Kontakt mit jener Medienwelt, die heute auch die Kunstwelt durchdringt. In Wahrheit geht es ja im derzeitigen quotenorientierten Showbetrieb kaum jemals um künstlerische Inhalte, sondern meist nur um ein streng redigiertes, möglichst attraktives und ungefährliches Symbolbild der „Kunst“. Die Realität ist nur insoferne akzeptabel und verkäuflich, als sie keine Irritation in der TV- und Wohnzimmeridylle verursacht. Reale menschliche Probleme verschwinden hinter dieser Scheinwelt, die nach Printmedien und Fernsehen nun zunehmend auch die Kulturwelt und die gebaute Realität beeinflusst. Über mögliche Konsequenzen denkt kaum jemand nach, und so bleibt es bei Künstlern wie Peter Baldinger, diese gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen. Das Blitzlicht in „Flash“ löscht die Gesichtszüge der Abgelichteten aus, auch der Totenschädel wird durch den Riffel-Filter des Kathedralglases gesehen. Die “unidentifizierten” Hinterkopfbilder machen ebenso wie die Akte hinter dem Wellenglas deutlich, dass das Prinzip auch umgekehrt funktionieren kann: Geliebtes, Schönes lässt man zum eigenen Schutz besser nicht allzu klar in Erscheinung treten – ein desillusionierter, gedämpfter und damit sehr zeittypischer Hymnus an die Schönheit. Das gilt auch für historische Kunst, wie Baldingers Beschäftigung mit Goya und Velazquez beweist – wir haben zwar heute keine Möglichkeit mehr, physisch und emotional nachzuvollziehen, was Malersein damals bedeutete, aber wir müssen es dennoch mit aller Kraft versuchen. Irgendwie beunruhigend, aber spannend – Medienkritik sollte zum Pflichtfach werden!