MEDIA

AHNUNG UND SYMBOL

Peter Baldinger evoziert mithilfe neuester Bildtechniken älteste Bildfunktionen

Malerei heute

Was kann die Bildkunst heute noch leisten? Künstlerische Arbeit in der zweiten Dimension und auf begrenzten Flächen besinnt sich derzeit vor Allem auf das, was typisch und authentisch für dieses Medium ist und in keinem anderen Medium so gesagt werden kann. Die Versuche der klassischen Moderne, dem Bild mit Hilfe von Licht, von Bewegung und plastischer Erweiterung mehr abzugewinnen, als es seit seiner urzeitlichen Erfindung als Abbild der Umwelt, des Menschen und des Heiligen zu leisten gewohnt war, sind mittlerweile Geschichte. Denn Licht, Bewegung und Plastik haben nun längst ihre eigenen Medien gefunden – die Lichtkunst, die digitale Kunst und die Objektkunst. Das Bild kann sich heute wieder auf sein Ureigenstes besinnen – das Symbolische. Und was wäre das im Medienzeitalter? Wie schon seit Urzeiten: Die Reflexion der Lebensbedingungen des Menschen in Bildern, die handwerklich hergestellt werden, also gemalt, gezeichnet oder gespachtelt. Damit die Andersartigkeit im Vergleich zu digital oder sonst wie maschinell generierten Bildern unübersehbar wird und so explizit auf ursprüngliche Bildfunktionen verwiesen wird, stellen viele Maler gerade diesen sinnlichen Material-Aspekt in den Vordergrund ihres Stil-Repertoires. Soviel zum Medium Malerei und seinen aktuellen Techniken. Doch wie sieht es mit den Inhalten aus? Wenn die Bildkunst in der langen Geschichte vor der Moderne, also im Grunde während ihrer gesamten jahrtausendelangen Lebenszeit bis in die letzten Jahre, sich mit der Reflexion unserer Lebensbedingungen befasste, so kann auch diese Eigenschaft auf die Gegenwart übertragen werden. Am Anfang stand das Bannen und Bezaubern des Dargestellten im Vordergrund der Bildintention, bald trat dann das Bezaubern des Betrachters durch perfektionierte Illusion hinzu, um am Ende der Vor-Moderne schließlich vom subjektiven Erleben unserer Lebensbedingungen durch sensible Künstler, etwa im Impressionismus, als letzte „genuine“ Dimension der Bildkunst abgeschlossen zu werden. Wendet man diese klassische Trias – Bannen, Betören und Fühlen – auf die heutigen Lebensbedingungen an, dann sind deren Gegenstände natürlich nicht mehr Beutetiere, Heilige oder Bootsfahrten auf der Seine, sondern die dramatischen Wirkungen der Technik auf die menschliche Seele, die sich bekanntlich viel weniger schnell entwickelt hat, als der industrielle Fortschritt. Und da gibt es wiederum mindestens zwei mögliche Strategien. Entweder der Maler von heute entzieht sich diesen Zumutungen – subjektive Entscheidungen des Künstlers sind ja seit der Renaissance erlaubt – oder er macht gerade die Technologie zum Gegenstand seiner Kunstproduktion. Viele begabte Maler von heute haben sich für den ersten Weg entschieden und versetzen ihr Publikum ins Innere der Natur oder in die Mythenwelt unserer Geschichte und Phantasie. Andere wiederum – und zu ihnen zählt Peter Baldinger – thematisieren die Wirkungen der (digitalen) Medien ganz explizit. Und man sieht dabei, dass dies von außerhalb der thematisierten Sphäre her besser möglich ist, als innerhalb. Zumindest heute, am Beginn des digitalen Zeitalters und am Außenrand seiner Domäne, lässt sich ihr Wesen vielleicht noch besser und unvoreingenommener beschreiben, als von innen heraus.

Eine neue Bildtechnik

In früheren Publikationen über Peter Baldinger wurde bereits ausführlich der Weg beschrieben, auf dem er sich diesem mitreißenden Projekt genähert hat. Autodidakt als Künstler (das hat er mit den Größten der Zunft gemeinsam), intensive und langjährige Erfahrungen in Medienindustrie und Kommunikationsbranche – parallel dazu aber eine kontinuierliche selbstständige Kunstproduktion, welche die genannten anderen Sphären seit Jahr und Tag kritisch begleiten. Als sinnfälligstes Symbol dient dabei stets die Technik, die zwischen der Realität und ihrer medialen Rezeption steht. Im Zeitalter der dominierenden Printmedien war das noch der grobe Bildraster, der schon Andy Warhol und Roy Lichtenstein faszinierte. Indem er über die Realität gestülpt wurde, verwandelte er sie in eine eigene Sphäre, die mit dem ursprünglichen Gegenstand nicht mehr viel zu tun hatte. Im Grunde waren die Leser und Seher also immer noch in der Situation der Zuhörer von mittelalterlichen Geschichtenerzählern, die aus den historischen Tatsachen ihr eigenes Kunstwerk generierten, das natürlich oft viel interessanter war, als die oft banalen tatsächlichen Ereignisse. Nach dem Druckbildraster bemühte Baldinger das Kathedralglas als weitere Steigerung von dessen Filterfunktion. Es hat zudem den Vorteil, dass schon seine Verwendung gewissermaßen eine künstlerische Technik ist – der Name dieser gewellten Glasscheiben spricht für sich. Szenen und Gegenstände wirken durch dieses Glas gesehen diffus, generieren aber überaus lebendige Bildeffekte. Ging Baldinger mit dieser Serie technologiegeschichtlich sozusagen einen Schritt zurück, so sprang er mit der Verwendung der digitalen Bildpunkte in die Gegenwart und Zukunft. Denn nahezu jedes heute generierte Bild ist ein digitales. Es besteht aus zahllosen Bildpunkten (eigentlich färbigen Quadraten), deren matrixartiges Arrangement in der Fläche erst in starker Verkleinerung der so entstehenden Bildfläche zum Verschwinden der Punkte und zur Wahrnehmung der beabsichtigten Bildstrukturen durch das menschliche Auge führt. Geht man jedoch den umgekehrten Weg und zoomt sich in das Bild hinein, dann vergrößern sich die „Pixel“ und ergeben am Ende in einem beliebigen Ausschnitt eine willkürlich erscheinende Komposition farbiger Rechtecke. Statt sich in das Bild „einzuzoomen“, kann man aber auch einfach die Größe der einzelnen Bildpunkte verändern: Wenn sie nicht mehr mikroskopisch klein sind, sondern auf mehrere Zentimeter Kantenlänge anwachsen, dann abstrahiert sich das Bild radikal. Nur die gröbsten Helligkeits- und Farbunterschiede der ursprünglichen Komposition werden nun wiedergegeben. Erst das „korrigierende“ Zurücktreten des Betrachters verschafft diesem wieder einen vagen Eindruck des Dargestellten, das jedoch in Baldingers Bildern nie eindeutig ist, sondern stets im Diffusen und in der Sphäre der Ahnungen bleibt – übrigens eine weitere sehr „alte“ Bildfunktion aus den Tiefen ihrer kultgebundenen Geschichte.

Verschiedenste Implikationen

Diese Bildtechnik erweist sich als überraschend vielfältiges Instrument. Baldinger steigert ihre Wirkung noch dadurch, dass er die extrem vergrößerten Bildpunkte nicht monochrom darstellt, sondern sie mit Pinsel und Farbe malt – die so entstehende Struktur vermittelt den Bildern eine Art Handwerklichkeit, die jeder Betrachter sofort mit Qualitäten traditioneller Malerei assoziiert. Doch es ist weit mehr als bloß ein lustvolles Verwirrspiel zwischen alten und neuen Medien, das Baldinger mit seiner Kunst treibt. Die kritischen Wurzeln seiner Strategie wurden oben dargestellt. Seine neuen „Pixelbilder“ rühren nun an völlig verschiedene Sinn- und Inhaltsebenen, die dem Betrachter erst mit einiger Reflexion bewusst werden. Da wäre einmal – um zunächst einen relativ nebensächlichen Aspekt hervorzuheben – die unbestimmte Erinnerung an die Moderne, die diese Struktur bewirkt. Von Josef Albers über das Colorfield Painting bis zu Chuck Close hat sie immer wieder mit regelmäßigen Farbfeld- und chaotischen Bildpunktstrukturen experimentiert. Wieder ist das aber nur eine Art Ahnung: Es gibt wohl keinen eindeutigen Bezugspunkt, der die Radikalität von Baldingers Technik präfiguriert hätte. Ein weiterer Aspekt ist die Identität des Dargestellten: Nicht bedrohliche oder dämonische Gegenstände sind es, die Baldinger beschäftigen, sondern im Gegenteil – es sind weithin geschätzte Objekte der Kunstgeschichte oder Freunde und Bekannte, die dieser verfremdenden Betrachtung unterzogen werden. Die Sympathie des Künstlers ist seinen Sujets gewiss, es ist eine affirmative und keinesfalls eine kritische oder gar pejorative Behauptung, die da geliefert wird. Auch für diese emotionale Ebene leistet der Pixelraster gute Dienste: Denn das Geliebte darf niemals beim Namen genannt werden, Fotografie stiehlt dem Fotografierten im Erleben mancher Völker die Seele. So wird etwa die Begeisterung für Barockmalerei, die in einem figuralen oder expressiven Malstil ein wenig banal wäre, durch die Pixelung überzeugend und nachvollziehbar: Es sind nämlich die genialen Licht- und Farbeffekte im Großen, die umfassende Komposition, das typisch „Welthaltige“ des Barock, was diese Kunst auch heute noch so faszinierend macht. Ein dritter Aspekt kann direkt aus dem zuletzt Gesagten abgeleitet werden: Die digitale Bildanalyse enthüllt mehr als so manch andere bisherige Technik die „Konstruktion“ bewegender historischer Kunstwerke. Ihr formaler „Bauplan“ wird so zwar auf Knopfdruck freigelegt – dennoch trifft das aber noch keinerlei Aussagen über seine Ausführung. So wie es ganz verschiedene Handschriften von Maurern und Stukkateuren gibt, wird jeder Maler – sei es im Barock oder heute – einen erwiesenermaßen funktionstüchtigen Bildplan auf andere, höchst individuelle Weise ausführen. In Baldingers Bildern wird dieser Aspekt wiederum an seiner individuellen Maltechnik ablesbar. Er nennt seine Strategie augenzwinkernd „analog remastered“.

Aktuelle Projekte

Abschließend ein kleiner Überblick über aktuelle Baldinger-Projekte: In letzter Zeit entstanden einige größere raumbezogene Arbeiten, die – naheliegend für Österreich – den Barock thematisierten. Im Schloss Esterházy zu Eisenstadt „remasterte“ Baldinger ein Deckenfresko von Franz Anton Maulpertsch aus dem böhmischen Stift Strahov, das passenderweise eine Allegorie der Wissenschaften darstellt, für ein altes Erdgeschoss-Gewölbe, in dem eine neue Besucher-Cafeteria untergebracht wurde. Oben in der Mitte dominieren hellblaue Farbfelder, unten an den Rändern dunklere Töne – ganz so, wie die Helligkeitsverteilung in der klassischen barocken Deckenbilddramaturgie eben funktioniert. In einer Installation über der Adlerstiege der Wiener Hofburg verfährt Baldinger ähnlich: Genau jene Qualitäten barocker Lichtkunst, die hier nicht mehr existieren, werden auf zeitgenössische Weise für diesen Ort rekonstruiert. Und in einem Arrangement in der Wiener Galerie Elisabeth Michitsch zeigt Baldinger anhand einer Reihe kleinformiger Bilder, wie man das – quasi in einem klassischen Genre – auf Porträts bekannter Zeitgenossen anwenden kann: Sie sind allesamt in einem strengen Raster von acht mal zehn Pixel gemalt – ein weiterer kreativer Kommentar zu Geschichte und Gegenwart, der vom Betrachter Wissen, Anteilnahme und Sensibilität für malerische Strukturen verlangt. Das trifft auch auf die Erkundung anderer historischer Bildarten zu: In großen Formaten werden etwa Historienbilder, wie Davids Tod des Marat, untersucht. Kurz: Eine intelligente und für Maler und Betrachter gleichermaßen lustvolle zeitgenössische Malerei.

WEEPING WOMEN – INTERVIEW

Peter Baldinger im Interview zu seinem Werk, seinem Zugang und der Klammer seiner Serien. Ein wenig lässt er in die Zukunft blicken.

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Der Dompfarrer, der Künstler und der Tod

Toni Faber und Peter Baldinger über Kunst und Tod. Viele Anstrengungen der Menschen lassen sich als Versuche deuten, den Tod zu überwinden und etwas zu...