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AUGEN AUF! WIE PETER BALDINGER EIN NEUES IDEAL UMSETZT

“Mancher betrachtet Gemälde am liebsten mit verschlossenen Augen, damit die Fantasie nicht gestört werde.” Dieser Satz von August Wilhelm Schlegel, vor rund zweihundert Jahren formuliert, drückt die Erwartungen aus, denen Künstler seit der Romantik ausgesetzt sind: Sie sollen Bilder machen, die die Einbildungskraft anregen und stimulieren, die aber vor allem als Projektionsflächen fungieren und jedem einzelnen Betrachter, so unterschiedlich er auch sein mag, gleichermaßen als Bestätigung seiner eigenen Gedanken und Wünsche erscheinen. Und sie sollen sich davor hüten, zu sendungsbewusst und obsessiv zu sein. Während Schlegel noch darunter litt, dass viele Kunstwerke seiner Zeit diesem Ideal nicht entsprachen und den Rezipienten – seine Phantasie – zu stark vereinnahmten, lässt sich die Entwicklung der Moderne als ein Prozess beschreiben, der es immer weniger erforderlich machte, die Augen vor Gemälden zu verschließen. Vielmehr sind Kunstwerke zu einer Art von Joker geworden, die gerade kein definiertes Wesen haben, sondern sich je nach Wunsch und Situation neu verwandeln können.

Mittlerweile gibt es also viele Gemälde, die sich genau so darbieten, wie es die individuelle Einbildungskraft des jeweiligen Betrachters am liebsten hätte, ja die sich, einem Chamäleon gleich, immer wieder anders zeigen, da sie das aufzunehmen und zu spiegeln vermögen, was dem Einzelnen vorschwebt. Das mag wie ein wahr gewordenes Märchen anmuten, ist aber vor allem ein eindrucksvoller Beleg dafür, dass aus einer Idee Wirklichkeit werden kann. So war die Abstraktionsbewegung der Moderne vom Interesse getrieben, ein Bild solle die allgemeine Form vieler möglicher Bilder beinhalten und damit als Darstellung ganz unterschiedlicher Phänomene taugen. In anderen Strömungen, etwa dem Surrealismus, ging es dafür darum, mit Strategien der Verfremdung Sujets aus gewohnten Zusammenhängen zu lösen, um sie zu Palimpsesten mit mehreren Bedeutungsschichten und einer entsprechenden Vieldeutigkeit zu machen, aus denen sich nahezu alles herauslesen lässt.

Genauso sind die semantischen Hypertrophien, die sich aus Kombinationen von Symbolen ergaben, als Ergebnis des Wunsches zu begreifen, Werke so zu gestalten, dass möglichst jeder sich ‚irgendwie‘ darin wiederfindet. Minimalistische Reduktionen schließlich machten die Kunst frei disponibel, führten sie doch gerade zu einer Preisgabe von Inhalten. Aber auch die Arbeiten von Peter Baldinger hätten August Wilhelm Schlegel gewiss gut gefallen, und er bräuchte die Augen vor ihnen nicht zu verschließen. Im Gegenteil. Der Maler und Zeichner versteht es nämlich ebenfalls besonders gut, Bildern die Offenheit zu geben, die nötig ist, um die Phantasie zu beleben, aber nicht zu bedrängen.

Wie aber gelingt das bei ihm? Peter Baldingers Prinzip besteht darin, nie alles zu zeigen. Damit kann der Betrachter das Vorenthaltene nach eigenen Vorstellungen ergänzen, und erst im Zusammenspiel von äußerem und innerem Bild entsteht das vollständige Werk. So lässt Peter Baldinger auf vielen seiner Gemälde Gesichter oder andere Sujets verschwimmen oder zeigt sie so verzerrt, als würde man sie durch eigens geschliffene Gläser sehen. Man bekommt zwar eine Ahnung vom Gezeigten, hat aber auch viel Spielraum, um sich Details dazu zu denken oder eine ganze Geschichte zu imaginieren.

Auf anderen Werken, vor allem bei mehreren Zyklen von Zeichnungen, enthält Peter Baldinger dem Rezipienten insofern etwas vor, als er Figuren allein von hinten abbildet. Wie die Dargestellten wirklich aussehen, bleibt damit unentschieden. Ob sie lächeln oder ernst blicken, mürrisch oder sehr sympathisch erscheinen, gesund oder aber müde wirken – das alles entscheidet erst der Betrachter, der sich damit sowohl einen Traumpartner wie auch das Konterfei eines Menschen ausmalen kann, der ihn gerade beschäftigt oder der in der Vergangenheit wichtig für ihn war.

Peter Baldingers Bilder sind höflich. So desillusionieren sie nie, sondern erlauben es dem Betrachter, seine Vorstellungen ungebremst zu entfalten. Während es oft enttäuscht, wenn man einer Person, die man zuerst nur von hinten gesehen hat, plötzlich ins Gesicht blicken kann, ist ausgeschlossen, dass sich eine Figur Baldingers auf einmal umdreht – und nicht das erfüllt, was man sich eingebildet hatte. Und auch die Unschärfen lösen sich nicht auf. Da sie bei Peter Baldinger wie Schlieren wirken, versetzen sie die Bildoberfläche – ähnlich wie das bei Op-Art der Fall ist – vielmehr sogar in Bewegung: Das Abgebildete scheint leicht zu changieren. Das inspiriert die Einbildungskraft zusätzlich, doch wird der Betrachter so auch dazu gebracht, länger vor einem Bild zu verweilen. Vielleicht wird er es sogar ähnlich wie das Bild auf einem Monitor wahrnehmen, auf dem sich immer wieder anderes abspielt.

Damit liefert Peter Baldinger zugleich einen bemerkenswerten Kommentar zur selbst schon etwas altbackenen Frage, ob die Malerei antiquiert sei: Solange es ihr gelingt, den Blick genau so zu bannen wie ein bewegtes Bild in einem neuen Medium, hat sie nichts an Aktualität eingebüßt. Da sich die Werke Peter Baldingers aber erst im Kopf des Rezipienten vollenden, darf dieser nicht passiv sein. Wer sich nur gerne unterhalten lässt und über keine geübte und lebhafte Einbildungskraft verfügt, wird von einer solch unbestimmten, jokerartigen Kunst schnell überfordert oder gelangweilt sein.

Wer hingegen Freude daran hat, Angedeutetes weiterzuentwickeln und über Nur-halb-Gezeigtes zu spekulieren, wird in Peter Baldingers Kunst die vornehmste Form von Erotik erkennen: Sie lockt, lässt träumen – und führt ins Offene. Also: Wer seinen Haushalt innerer Bilder pflegen will, sollte die Werke Peter Baldingers nicht verpassen. Und August Wilhelm Schlegel sowie allen anderen Skeptikern ist zuzurufen: Augen auf!

DIE WAHRHEIT DES KOLLEKTIVEN UNBEHAGENS

Normalerweise will man sein menschliches Gegenüber genau sehen. Am besten, man blickt ihm oder ihr in die Augen. Eine Verweigerung dieses Begehrens lässt nichts Gutes ahnen – sei es beim Lover, bei der Freundin oder beim Chef. Von Angesicht zu Angesicht – steht über dem Haupteingangstor der Kommunikation gemeißelt. Alles, was diese Konfrontations- aber auch Verständigungsmaximierung trübt, löst Unsicherheit aus. Und das Überdenken des Spannungsfeldes zwischen Ich und Ich, Ich und Du, Ich und die anderen, Ich und wir – kurz von allem, was das Individuelle und Gesellschaftliche ausmacht. Genau dieses äußerst komplexe Feld der Vereinsamung und Entfremdung des Einzelnen unter vielen anderen Einzelnen in Zeiten der umfassenden Technisierung, des digitalen Beinahe-Totalersatzes für Fleisch und Blut interessiert den Maler und Zeichner Peter Baldinger. Genau in die sich immer weiter öffnenden Gräben zwischen verständigungslosen Menscheninsulanern stößt der gebürtige Linzer und seit kurzem am Mondsee lebende Künstler von Beginn seiner Bildproduktion an.

Es gibt viele eindrucksvolle Serien, in denen Baldinger – ein hartgesottener Medienmensch und nebenbei Marketingspezialist – den Verlust des Gesichtes und der Seele konstatiert. Der Künstler weiß auch von Berufs wegen, was in der Wunderwelt der elektronischen Bilder und der Flashnews so läuft, wie sich das alles in der Verarmung des Humanen niederschlägt. Als schöpferischer Geist reagiert er auf die rasante Anonymisierung der Gesellschaft mit Gegenbildern zum Geläufigen. Baldinger findet schlagende Symbole für die Auslöschung des Individuellen, Unverkennbaren. Er weiß auch, dass die einfachste Verkehrung des sogenannten Normalen die größte Wirkung zeitigt. So blendet er schwarze Sichtbalken über die Augenzone weltberühmter Bildnisse und zeigt Menschen nicht von vorne, sondern von hinten. Am bekanntesten sind die Hinterkopfporträts – akribisch-realistische Schilderungen von Schädelformen, Haartrachten mit und ohne Kopfbedeckungen, Blößen und anderen Eigentümlichkeiten, die ebenso individuell wie austauschbar sind. Diese Negativ-Bildnisse sind das Gegenteil der klassischen Porträtauffassung. Sie sind anormal. Aber was ist schon normal in einer paralysierten Gesellschaft, der nichts wichtiger ist als Vernetzung und Highspeed-Infotransfer.

Peter Baldingers Kardinalthema – die gelegentlich sarkastisch betrachtete Gefangenschaft des modernen Einzelwesens in seiner Gesichtslosigkeit, Isolation und Einsamkeit – hat sich nicht geändert, nur hat der Künstler jetzt eine andere realistische Symbolik gewählt. In den „Diffusions“ ist es der ganze Körper des Gegenübers, der in seiner scharf erfassten Unschärfe den Betrachter irritiert und zwingt, diese zwischen Auge und Akt, beziehungsweise Menschengruppe gerückte Verzerrungszone zu korrigieren. Jedermann, Jederfrau will immer und überall klar sehen und so arbeiten die an Superimax gewöhnten Konsum- und Raffblicke an der Reparatur des deformierten Menschen. Niemand kann diesen vorgeblichen Blick durch eine Riffelglasscheibe wirklich akzeptieren.

Baldinger hat auch mehr und Tieferes gemalt als die banale Gegebenheit der Weltwahrnehmung durch einen filternden Blickschutz, wie er auf Baumärkten handelsüblich ist. Es ist kein Trivialeffekt, der hier inszeniert wird. Es ist nicht mehr und nicht weniger als die existentielle Auflösung des Einzelnen, das Zerfallen von Zentren und Konturen, von menschlicher Physiognomie, die hier in vielen Variationen vorgeführt wird. Dieser kritische Aspekt scheint wichtiger zu sein als das Angebot an das Auge, die abstrakte Musik der Fleckenströme, der Licht- und Schattenkaskaden für sich zu genießen. Der Mensch und besonders der zeitgenössische ist ein unsicheres, ungesichertes Wesen. Seine scheinbare Ruhe ist so leicht zu stören wie der Spiegel einer Wasserfläche. Der Mensch von heute ist das Gegenteil der Fernsehwerbung, die inzwischen nur noch aus Hautstraffern und Haarfärben, aus Antiagingprodukten, Wellnessangeboten und bakteriellen Gesundheitssoldaten zu bestehen scheint.

Das alles sagt ja nur, dass die Wirklichkeit eine ganz andere ist und die Sehnsüchte nach erosionsresistenter Komplettheit des Körpers in den Himmel schießen. Baldinger malt die Wahrheit des kollektiven Unbehagens und Unsicherheitsgefühls. Er malt die zerrinnende Sicherheit, er malt Phantome. Nicht der Oper, sondern des alltäglichen Lebens. Unter den Künstlern, die mit den Grundmitteln der realistischen Malerei Fragen an die gefährdeten Bedingungen des Menschseins stellen, gebührt Peter Baldinger ein herausragender Platz.

VERSUCH EINER ANNÄHERUNG

“Nicht identifizierbar”, von hinten, durch eine Riffelglasscheibe, oder durch grobe Rasterung aufgelöst, ein Kopf, ein Gesicht, ein menschlicher Körper. Mit den Porträtserien “unidentified Washington D. C. 1999” findet Peter Baldinger zu einer malerischen Sprache der Verweigerung, die sich als widerständig gegenüber den gängigen Präsentationsmustern im zeitgenössischen Umgang mit Porträt erweist. Bereits im Textteil des Kataloges zu “unidentified” beginnt Peter Baldingers eigener Text mit einem klassischen Wort der Verweigerung: Nicht. Auf dieses “Nicht” hin zentriert sich seine malerische Arbeit, eine Passion, die bei Peter Baldinger schon früh durchbricht und ihn nicht mehr loslässt.

1958 in Linz geboren, ist Baldinger ab 1981, als Reporter lebensnaher Bildberichte bei einem Regionalblatt tätig. Über die praktische Anwendung seines Arbeitsgerätes Fotoapparat findet er sich unversehens mit einem direkten Blick auf die Welt konfrontiert, der er sich in diesem Augenblick nicht entziehen kann. Selbst geschützt durch das technische Gerät, erlaubt ihm die Nähe zu seinem Objekt einen Zugang zur Realität, in dem der Anfang seines zunehmenden Unbehagens am Gesicht der Welt seinen Ursprung hat.

Ab 1985 arbeitet Baldinger als Polizeireporter in der Salzburger Redaktion der Kronen Zeitung. 1988 übersiedelt er in die Wiener Redaktion, ab 1989 illustriert zusätzlich er für den “Kurier” im wöchentlichen Farbmagazin. Als man ihm die Übernahme des Gerichtsressorts der “Krone” anbietet, wird er sich bewusst, dass er sich dem Auseinanderklaffen zwischen Realität und seiner Profession im Sinne journalistischer Wiedergabe nicht auf Dauer aussetzen will. 1991 beendet er seine Tätigkeit als Reporter bei Printmedien. Peter Baldingers Arbeit als Bildreporter beeinflusst während all dieser Jahre den kontinuierlichen, niemals abgebrochenen Fortgang seiner Auseinandersetzung mit Malerei und später digitaler künstlerischer Bilderfassung. Nun drängt es ihn, sich wieder verstärkt der Malerei zuzuwenden. Noch findet sich wesentlich das erzählerische Moment im Umgang mit dem bildnerischen Medium, das wird sich in den folgenden Jahren ändern.

Ein Bildjournalist muss bis zu einem gewissen Grad auch immer Voyeur sein, eine Voraussetzung, die bei Baldinger, er spricht von einem “Hang zur stillen und geheimen, allemal voyeuristischen Beobachtung”, existent ist. Aus der Gebrochenheit zwischen Wirklichkeit und Wiedergabe baut sich in ihm eine permanente Infragestellung medialer Praktiken und Präsentationsformen auf. Der Kunsttheoretiker und Philosoph Jean Baudrillard sagte einmal: “… die Medien verhalten sich zur Wirklichkeit, wie eine Landkarte, die das Land überlagert.”

Mit seinen Aufenthalten in den USA ab 1991 zeichnet sich bei Peter Baldinger eine erste Veränderung seiner bisher praktizierten Malweise ab, es entstehen pointierte, auf einen Blick erfassbare Bildgeschichten als Übergang zum konzentrierten Einzelporträt. Entstehen 1991 in Vermont noch narrative Zitate auf amerikanische Familienphotos des 19. Jahrhunderts, wie die Serie “Pets of Vermont”, oder 1994 “Pets of Maine”, so präsentiert Peter Baldinger 1995 mit dem “White Album” einen Rückblick auf seine eigene familiäre Herkunft von der Jahrhundertwende bis in die 1960er Jahre. In diesen Serien begründen sich Anfang und Ende der neuen Arbeiten, die der Künstler nun mehr als “Das Gesicht meiner Welt” bezeichnet.

In einem Akt der Umkehrung des Richtmaßes nach dem Wiedererkennungswert eines Porträts, finden sich ab 1998 Aquarelle auf Papier und Acrylarbeiten auf Leinwand als frühe Verweigerungsansichten des Malers Peter Baldinger. Zunächst findet bei Baldinger die gedankliche Auseinandersetzung mit dem Typus Porträtdarstellung in seiner historischen Entwicklung statt.

Sukzessive veränderte sich über die Jahrhunderte die Bedeutung des Porträts. Anfangs mit Macht ausgestatteter Herrscherkopf, Profil eines angesehenen bürgerlichen Handelsherren oder Patriziers, Bildnis eines hervorragenden Künstlers, das schöne Antlitz einer Frau, wurde das Porträt im 20. Jh. zur Massenware. Medialer Starkult und Model-Hype bilden dabei eine gesonderte Szene. An der Kulturgeschichte des Porträts lassen sich soziale und politische Veränderungen ablesen. Was Peter Baldinger immer wieder beschäftigt ist der Informationsverlust, der zwischen dem Ereignis und seiner medialen Darstellung in den Medien allgemein liegt. 1997, diesmal in Virginia, reagiert er auf diesen, für ihn spürbaren Bruch mit den “Disinformation Drawings”, Arbeiten mit grob gerasterten Bildern, “… sozusagen von Hand digitalisiert”.

Mit dieser malerischen Auflösung des digitalisierten Fotos in die Bestandteile seiner Zusammensetzung könnten für Peter Baldinger und den Betrachter Spuren der entschwundenen Information sichtbar werden, ein “Blow up”, das Grenzen sprengt und verborgene Informationen offen legt. Mit der Reihe “Diffusions”, etwa ab 1999, setzt Baldinger seine Arbeit am Gesicht seiner Welt fort. An der Stelle des Suchers des früheren Fotoreporters befindet sich nun die Riffelglasscheibe des Malers Baldinger. Mit dieser Technik schiebt sich auch hier zwischen die Person Peter Baldinger und dem darzustellenden Objekt ein Gegenstand, quasi ein voyeuristisches Schutzschild, um die Direktheit der Konfrontation zu mildern.

Der Begriff “Diffusion” bezeichnet eine chemische Reaktion der “Verschmelzung”, “Mischung” und „Durchdringung“ von gasförmigen, flüssigen oder festen Stoffen die miteinander in Berührung kommen. Tatsächlich treffen diese Bezeichnungen auf die Szenen und Porträts in Baldingers Arbeitstechnik zu. Das Gesicht, der Körper lösen sich hinter der Riffelglasscheibe auf, die Konturen verbreitern und zerstreuen sich, werden unfassbar, sind durchdrungen vom ungerichteten Lichteinfall und der Materialität der Glasscheibe. Die Erkennbarkeit des individuellen menschlichen Gesichtes wird vom Maler Peter Baldinger diffus gebrochen, unbrauchbar zur Identifikation.

Aus demselben beabsichtigten Grund nicht geeignet zur Identifizierung ist auch die Reihe der Hinterköpfe „Unidentified“, die Baldinger ab 1999 beginnt. Seine Porträts von hinten zeigen hocherhobene Häupter von Personen, die dem Betrachter ihr Gesicht vorenthalten, sich frontal verweigern, das Rätsel ihrer Identifizierung erschweren. Nach wie vor sind es die Menschen, die Peter Baldinger faszinieren: “Solange ich denken kann, habe ich Menschen gemalt!”.

2006 kommt es zu einer Serie: Türkische Einwohner der Städte Hallein und Istanbul. Einige von ihnen blicken den Betrachter an, setzen sich den Blicken der Mitmenschen aus und bewahren auch in dieser Form der Präsentation das Geheimnis ihrer Existenz. Die “Unidentified” Serien unterscheiden sich von den klassischen Porträts durch subversives Hintertreiben vordergründiger Wirklichkeit.

Mit “Disinformation”, “Diffusions” und “Unidentified” konfrontiert Peter Baldinger den Betrachter mit einer negativen Dialektik, die mit einer “Ästhetik des Erhabenen” einhergeht. Der Philosoph Jean-Francois Lyotard verbindet das Erhabene mit Unendlichkeit, die sich seinem Denken nach nur in einer negativen Form zeigen kann. Baldinger verweigert sich der Endlichkeit, indem er Grenzen auflöst, indem er fest gefügte Muster sprengt. Trotzig beharrt er auf der Unendlichkeit des Möglichen, indem er paradoxe Kunst produziert. Und – um sich selbst nicht zu begrenzen – auch immer wieder Menschen in ihrem Sosein.

Der Kopf, das Gesicht, der Körper des Menschen sind gleichsam Orientierungsmerkmale für den Mitmenschen. Wenn jemand wie Peter Baldinger diese gesicherte Fassbarkeit in Frage stellt, stößt er damit in andere Dimensionen vor, die im Bereich des intuitiven Erfassens liegen, das nicht logisch begrenzt werden kann, also unendlich ist. Erst in der Ungewissheit eröffnet sich Unendlichkeit.

DIE AHNUNG EINER GEWISSHEIT

Es gab eine Zeit, da war der Mensch, die figurative Malerei insgesamt Nebenthema in der Kunst. Das hat für Peter Baldinger nie gegolten. Er malt weil er malen muss: “Solange ich denken kann, habe ich Menschen dargestellt”.

Die narrativen Bilder, Freunde, Familienmitglieder, Eindrücke von Reisen darstellend, stehen am Anfang seines künstlerischen Tuns. Es folgt die Phase des klassischen Porträtbildes, ohne Hintergrund, ohne Geschichte, einfach die Köpfe von Menschen. In der Weiterentwicklung schließlich Köpfe von hinten. Warum? “Weil wir im Laufe eines Tages mehr Menschen von hinten sehen als von vorne” ist die Erfahrung, die Peter Baldinger als Mensch unter Menschen macht und weil ihn fasziniert, dass wir uns bekannte Personen auch von rückwärts erkennen, ohne zusätzlich nachdenken zu müssen. Wir haben ihre Silhouette tief in uns gespeichert und können ihr individuelles Erscheinungsbild jederzeit in uns abrufen und aktivieren. Selbst bei anonymen, uns unbekannten Menschen, können wir von rückwärts sehr viel über sie sagen. Diese Identifikationszuweisung ist eine spannende Erfahrung und gibt zu denken.

Baldinger geht mit seinen hintergründigen Kopfansichten in Serie. In der heimischen, wie internationalen Kunstszene werden diese Arbeiten beachtet und vielfach rezipiert. Er selbst nennt als Anstoß für seine Hinterkopf Serie die Erfahrung in seinem ursprünglichen Brotberuf als Fotojournalist und Lokalreporter, unter anderem auch für die Gerichtsseite, wo Köpfe, isoliert, für die sonst nicht abbildbaren Ereignisse und Schicksale stehen. Oberflächlich gesehen macht Baldinger den Typus Polizeibild salonfähig, ein rasches Vorurteil. Vielmehr deutet Baldinger mit diesen Chipcards an, dass jeder Einzelne zählt und sich wesentlich vom anderen unterscheidet. Jeder einzelne von ihm gemalte Kopf bestätigt ein Original. Eine politische oder gesellschaftskritische Botschaft will Baldinger damit nicht transportieren, er konstatiert nur und sinniert, zum Beispiel über Vorurteile. Wir nähern uns einem Menschen und machen uns zunächst ein Vor-Urteil von ihm, eine notwendige Überlebensstrategie. Wenn wir über das bloße Sehen hinausgehen, werden wir unser Vor-Urteil redigieren und eine Be-Urteilung treffen, die darüber hinausgeht.

Das Thema, das in Baldinger weiter brodelt, ist die Grauzone zwischen Anonymität und Identität. Unsere Intuition und unser Sinnesorgan Auge spielen zusammen und formen uns das Bild von einem Menschen, wir erkennen einen Freund oder einen Unbekannten. Da überrascht Baldinger eine weitere Erfahrung: Selbst in den unscharfen, verschwommenen, aufgelösten Silhouetten durch die Riffelglasscheibe einer Glastür, können wir bekannte von unbekannten Menschen unterscheiden, selbst wenn sich ihre Körper nach außen auflösen, ihre Grenzen zerfließen. Sein weiteres malerisches Werk ist von dieser Beobachtung geprägt, Peter Baldinger entgrenzt. Weitere Erkenntnisse aus seiner Beobachtung folgen: Jede minimale Veränderung hinter der Riffelglasscheibe lässt ein neues Bild entstehen. Baldinger geht wieder in Serie. Auch wenn er jetzt nichts anderes als die Wirklichkeit, die er durch die geriffelte Glasscheibe sieht, auf die Leinwand überträgt, erscheint das Bild für den Betrachter unwirklich, abstrakt. Das Medium Riffelglasscheibe wird ihm zur Metapher für den Filter, den wir täglich anwenden. Wir sortieren und trennen die so genannte Wirklichkeit durch unser Filter der ganz persönlichen Wahrnehmung.

Für das neue Polytechnikum in Mattighofen hat Peter Baldinger einen Zyklus von vier Wandgemälden 293 cm x 390 cm geschaffen. Ihre üppig-sinnliche Farbigkeit, ihre plastisch-räumliche Bewegtheit, ihre kraftvolle Gegenwärtigkeit ist die erste Stufe der Wahrnehmung, die uns, den Betrachter zunächst ganz in den Bann zieht. Je weiter wir uns aber von den Gemälden entfernen, desto näher kommen wir dem Thema. Es erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Der von Peter Baldinger angewandte Wahrnehmungsfilter schiebt sich dazwischen. Baldinger verschiebt die Erkennungsgrenze der Wirklichkeit bis zu dem Punkt, an dem der Wiedererkennungseffekt bricht. Es scheint, als könnten wir die dahinter liegende Wirklichkeit erst in der Entfernung von ihr, in der Reflexion erkennen. Wir sind gezwungen, unser Vor-Urteil zu redigieren. Der Titel des Zyklus lautet “where we are”. Eine Annäherung an die vier Grundfreiheiten des Menschen: die Freiheit der Rede und der Religion, die Freiheit von Not und von Angst. Im Zentrum des Zyklus steht somit der Mensch und seine wesentlichen Befindlichkeiten. Wir sind wieder bei dem von Baldinger eingangs erwähnten Satz: “Ich stelle, solange ich denken kann, Menschen dar”. Daran schließt er an: “Kunst setzt immer einen konkreten Willen voraus”. Peter Baldinger besitzt diesen unbedingten Willen zur Kunst. Seine Konzept heißt: “Der Betrachter soll ein flaues Gefühl haben, da ist etwas, so, als würde ich in einem Boot stehen, Gegenstände auf dem Wasser beobachten und dabei leicht schwindlig werden.”

Rezeptionszeiten müssen angesichts der unterhaltenden Bilderflut verkürzt werden. Innehaltende Aufmerksamkeit wird als romantische Attitüde desavouiert. Peter Baldinger weiß darum. Er lebt in dieser Welt, er lässt sich von ihren Bildern verzaubern. Er spürt der Verführungskraft dieser Images nach, enttarnt mit seinen Werkzeugen ihre vordergründigen Absichten, ohne ihnen gleichzeitig ihre obsessive Macht zu nehmen. Das auf dem ersten Blick widersinnige Verfahren, stark aufgerasterte Zeitungsbilder nachzumalen, erweist sich bei längerer Betrachtung als eine sinnstiftende, produktive Geste: Der gemalte Rasterpunkt ist nicht mehr flache Fläche, sondern informationsträchtiger Mikrokosmos. Das Bild – dessen Vorbild aus wenigen Informationseinheiten bestand – wird damit zu einem Ort vielfältigster Überlagerungen, die von sich als Ergebnis einer ausgesprochen individuellen Handlung künden. Gleichgültig, ob die Porträtierten von hinten oder durch ein Riffelglas zu sehen sind, immer verweisen Peter Baldingers Bilder auf eines: Das oberflächlich Wahrgenommene – all das, was seine Subjektivität und Einmaligkeit verloren hat – kann nur durch die Arbeit der Hand, durch den Einsatz des Körpers ins Bewusstsein zurückgewonnen werden. Der moderne Blick allein widersetzt sich der Geschichte, er ist absichtslos. Erst im sinnlichen Tun entsteht Zielgerichtetheit und damit Ahnung von Gewissheit.

IM GESPRÄCH MIT PETER BALDINGER

UG: Deine Ansichten menschlicher Köpfe von hinten, implizieren für mich Verunsicherung und Verweigerung.
PB: Verweigerung und Unsicherheit hängen eng zusammen. In jedem dieser Bilder ist viel von mir, auch von meinem Schutzmechanismus, nicht fassbar zu sein. Eine Unfassbarkeit, die gleichzeitig Anziehung ausübt. Die von mir dargestellten Menschen können nicht auf den ersten Blick eingeordnet werden. Sie sind zugleich realistisch und, speziell bei Riffelglasbildern, auch abstrakt. Diese Vorliebe für einen latenten Unsicherheitszustand hängt mit meiner Biografie zusammen. Ich wurde zur Sicherheit erzogen: alles sollte in geregelten Bahnen verlaufen und gehalten werden, jedes Abweichen von bürgerlich festgeschriebener Normalität erzeugte Angst. Tagtäglich wurde Sicherheit gelebt. Irgendwie habe ich selbst mich dabei mit der Angst verbündet und lebe Unsicherheit. Und um Überleben zu können, habe ich für mich festgelegt, dass der Wunsch nach absoluter Sicherheit ein katastrophaler Fehler ist. Sicherheit ist mir suspekt, es gibt sie nicht.


UG: Wie wirkt sich das auf deine künstlerische Arbeit aus?
PB: In erster Linie produziere ich einfach Bilder. Ich empfinde eine starke Notwendigkeit, mir ein Bild zu machen.


UG: Ein Bild ist immer ein Bild von etwas.
PB: Ich beobachte die Welt und die Menschen als optisches Ereignis, so mache ich mir ein Bild. Ich beschäftige mich nur mit der Optik der Äußerlichkeit. Ich nehme die äußere Hülle wahr und mache davon ein Bild. Ich halte die Geringschätzung der äußeren Erscheinung für falsch, weil ich weiß, dass sie immer für etwas steht.


UG: Die Oberfläche ist also nicht rein oberflächlich?
PB: Jegliche Oberfläche steht in einem Zusammenhang mit dem von ihr umgebenen Inhalt, steht für etwas, beispielsweise für das Gefühlsleben eines Menschen. Die Oberflächenhülle kann auch etwas vortäuschen, ich schaue auf die Oberfläche, ich versuche aus ihr den Inhalt zu lesen.


UG: Und du erfährst dabei etwas Neues?
PB: Ich lerne daraus, mache meine Erfahrungen. Lernen ist letztlich das einzige, was am Ende jeden Tages zum Eigenen dazugekommen ist. In meine Darstellung des Erlernten lege ich aber nichts hinein. Ich meine, ich bringe die Erkenntnis nicht in den Vordergrund. Ich male oder zeichne nur die äußere Optik, das Bild zu kommentieren überlasse ich dem Betrachter.


UG: Willst du im Betrachter etwas bewirken, Kunst beansprucht doch einen gesellschaftlichen Auftrag?
PB: Um den so genannten Auftrag kümmere ich mich überhaupt nicht. Sich ein Bild zu machen, ist eine Notwendigkeit des Menschen. Ich mache es. Fertig.


UG: Im Sinne des Künstlers als Genie, der aus einem inneren unbestimmbaren Antrieb heraus schaffen muss?
PB: Ich will einfach ein Bild herstellen, weil ich es muss. Ich will ein Bild machen, weil ich natürlich etwas mitzuteilen habe, unabhängig davon, was andere darin sehen.

UG: Du musst dir also dein eigenes Bild machen. Hast du selbst einen Erkenntnisgewinn?
PB: Ja, wie schon gesagt, den habe ich. Jedes einzelne Bild bringt mich einen Schritt weiter. Jede Serie komplettiert ein unbestimmtes Konvolut, das von mir letztlich gemacht werden muss, jedes fertige Bild ist ein Bild von mir, das ich von der Welt gemacht habe. Letztlich gestaltet man so die Welt. Das tut jeder. Ich gestalte meine Welt.


UG: Mit jedem Bild von dir erfahre ich etwas über mich und zugleich über dich.
PB: Darüber, dass ich gegen den Aberglauben der kollektiven Sicherheiten anrenne.


UG: Stellst du dem Betrachter die Frage nach Gewissheit? Du willst Sicherheiten aufbrechen und bist dann selbst verunsichert, stehst also aus eigenem Wunsch auf unsicherem Boden, in einer selbst verursachten Ungewissheit?
PB: Ich interessiere mich nicht dafür, den Betrachter etwas zu fragen, vielmehr stelle ich die Frage ständig an mich selbst. Ursprünglich, etwa in Höhlenmalereien, hatten Bilder die Aufgabe zu bannen. Meine Bilder bannen etwas Unbestimmtes. Sicher ist nur, ich male nicht ohne zwingenden Grund, habe aber noch keine Antwort auf meine Fragen. Ich weiß nur, dass ich niemanden belehren will, weder politisch, noch religiös, oder gesellschaftskritisch. Niemanden, außer mich selbst.


UG: Du wehrst dich gegen etwas Unbestimmtes?
PB: Ich wehre mich gegen die Pflicht zur Korrektheit, gegen das Regulativ, dagegen, dass soviel wie möglich stimmen, richtig sein muss. Das ist mir zuwider, das interessiert mich nicht.


UG: Was für viele stimmt, stimmt für dich also nicht, ist für dich nicht relevant?
PB: Ich denke, dass immer nur stimmt, was für den Einzelnen stimmt. Viele glauben, sich an Regeln halten zu müssen, um außer Gefahr zu sein. In der künstlerischen Arbeit muss man das nicht.


UG: Die Gesellschaft hält sich den Künstler, weil er Regeln bricht?
PB: Es ist genau umgekehrt, ohne Künstler gibt es die Gesellschaft nicht. Eine in Regeln und Sicherheit erstarrte Welt ist nicht lebensfähig, da sie sich nicht weiter entwickelt. Der Künstler ist der Gesellschaft immer einen Schritt voraus. Er schlägt etwas vor, das von Anderen als Modell aufgegriffen werden kann.


UG: Peter Baldinger zeigt also letztlich mit seinen Bildern die Ungewissheit der uns umgebenden Welt.
PB: So ist es wahrscheinlich. Etwas anderes könnte ich nicht zeigen, da ich etwas anderes nicht sehe.


UG: Du malst Individuen, weil sie den Unsicherheitsfaktor darstellen?
PB: So wie ich den einzelnen Menschen sehe, zeigt ein Bild der Unschärfe, der Unsicherheit für den Betrachter. Ein Porträt von hinten, ein Individuum durch eine Riffelglasscheibe betrachtet, vermittelt Unschärfe und hinterlässt Unsicherheit.


UG: Deine Individuen befinden sich in einem andauernden Schwebezustand?
PB: Ich hebe sie aus der Masse hervor, aber sie bleiben undeutlich. Ich will damit sagen: Was man sieht muss nicht sein, was es ist. Wir leben mit Vorurteilen, die wir ständig anwenden. Das ist nicht von vornherein negativ, sondern eher selbstverständlich, weil wir ein optisches Sinnesorgan haben. Wir ordnen unsere optischen Eindrücke in den Katalog unserer Erfahrungen ein. Das ist fürs erste auch normal. Schlimm ist nur, wenn wir aus Bequemlichkeit oder Unbelehrbarkeit beim ersten Eindruck bleiben und diesen nicht korrigieren, auch wenn bereits eine bessere Erkenntnis vorhanden ist. Ich habe Vorurteile und muss sie auch immer wieder neu überprüfen. Dabei lerne ich.


UG: Wie kommt es zu der Serie von Porträts türkischer Menschen?
PB: Jedes Projekt hat unmittelbar mit dem momentanen Erleben zu tun. Ich war in den vergangenen Jahren oft in Istanbul, habe Freunde dort. Es gibt eine starke Verbindung dorthin. Und da ich meine Sujets immer bei den Menschen finde, die mich gerade umgeben, kam es dazu.


UG: Du malst ausschließlich Menschen?
PB: Alles andere braucht nicht porträtiert zu werden.


UG: Weshalb?
PB: Es gibt perfekte technische Medien, die Oberflächen, Situationen punktgenau darstellen können. Wie eine Landschaft wirkt, oder wie sich ein Ding angreift, kann ich auf einem Hochglanzfoto sehen und dadurch fühlen. Menschen sind deshalb das einzig Interessante, weil sie eben diese lebenden Unsicherheitspakete in einer Oberflächenverpackung sind.


UG: Menschen haben auch Körper.
PB: Das Porträt nimmt in der Geschichte der Malerei eine besondere Stellung ein. Es hat einen langen Entwicklungsprozess gemacht, ausgehend von der Darstellung von Göttern, Herrschern, Helden, Kirchenfürsten, später reicher Kaufmänner, Bürger … Alle diese Dargestellten besaßen Macht, sie standen irgendwie über den anderen. Mit den Hollywood-Diven änderte sich zwar der Inhalt, aber nicht das Konzept: Jemanden Außergewöhnlichen darzustellen, bzw. ihn durch die Medien außergewöhnlich erscheinen zu lassen. Jetzt kommt es zur Vermischung: Schönheit zum Beispiel wird über das Verkaufsargument als Modell, als Konsumartikel benützt. Und das millionenfach. Da interessiert mich die Frage nach Anonymität bei gleichzeitiger Individualität.


UG: Daher der Wunsch ein individuelles Porträt zu machen?
PB: Es existiert eine Massenindustrie für Individualität.


UG: Gehst du dagegen an?
PB: Warum sollte ich? Es ist der Stoff für meine Bilder. Ich bemerke diese Entwicklung und gebe mit meinen Bildern einen Zustandsbericht. Gleichzeitig darf Kunst nicht trocken sein. Sie soll auch Spaß machen.


UG: Du machst nun seit rund zehn Jahren immer wieder Porträts, die den Kopf von hinten abbilden. Hat sich an Deiner Einstellung nichts geändert?
PB: Doch. Die entwickelt sich natürlich weiter. Es verändern sich auch die Bilder, die Technik oder Arbeitsweise. Es gibt ja unzählige Möglichkeiten des Filterns, das Unschärfe erzeugt. Ich schneide ja auch hunderte kleine Portraits aus Zeitungen aus, arrangiere sie zu Tableaus und übermale sie, sozusagen mit zu grobem Pinsel, um die individuelle Kontur zu verwischen. Aber es besteht kein Grund, meine Serie von Hinterköpfen nicht fortzusetzen.


UG: Du produzierst also tatsächlich Negativikonen, wie Anton Gugg in seinem Salzburger Kunstlexikon über dich schreibt?
PB: Mir gefällt der Ausdruck. Ja.

UG: Deine Kunst ist also konzeptiv?
PB: Es gibt nur konzeptive Kunst, alles andere hat vielleicht mit Dekoration zu tun, aber nicht mit Kunst.


UG: Kann man sagen, dass du das Porträt als Hinterkopf, als deine Erfindung ansiehst?
PB: Ich habe nichts erfunden, ich habe nur eine Sicht gewählt. Das Gesicht des Menschen ist so angelegt, dass es den Anderen anspricht, diese sichere Codierung entfällt bei meinen Porträts. Meine Porträts kommen ohne primäre Ansprechfaktoren aus.


UG: Steckt da auch der Gedanke dahinter, dass jedes Individuum im Kern seines Wesens unfassbar bleibt?
PB: So ist es eben.


UG: Dahinter verbirgt sich auch das Geheimnis des Künstlers Peter Baldinger?
PB: Ich habe kein Geheimnis. Ich bin durch das, was ich mache, erkennbar. Durch die Beschäftigung mit dem Geheimnis der von mir porträtierten Menschen gebe ich mich bereits preis.


UG: Steckt dahinter eine Scheu vor den Menschen?
PB: Ja, ich male mir die Menschen weg.

DIE AUFLÖSUNG DES HISTORIENBILDES

Als Eingriff in eine bestimmte vorgegebene Situation wird die Intervention im Allgemeinen verstanden. Und damit im weiteren Sinne auch als Behauptung. Das ist im besten Fall, das was die Kunst leisten kann, wenn sie sich einschaltet. Dieses zu garantieren und zu ermöglichen ist Aufgabe des Staates, der so oft beschworenen Zivilgesellschaft und aller Akteure, die im Dienst der Kunst tätig sind, also Kuratoren, Galeristen, Kunstkritiker und Direktoren. Die Intervention von Peter Baldinger in der Hofburg bietet eine Gelegenheit daran zu erinnern.

In der schwarzen Adlerstiege des leopoldinischen Traktes der Hofburg wird temporär die Geschichte Österreichs in der Interpretation von Peter Baldinger in den Deckenfeldern des Stiegenaufgangs zu sehen sein. In das historische Ambiente, den Amtssitz des Bundespräsidenten, wird über zeitgenössische Bildsprache die Geschichte des Landes vermittelt. Die Übertragung verläuft hier nicht über die üblichen, didaktischen Kanäle, keine Informationstafeln, keinen Geschichtsunterricht im herkömmlichen Sinn. Über verpixelte Bilder erhält der Besucher einen Eindruck, eine Idee, die über den Ort und das Land Auskunft gibt. Baldinger zerlegt Historienbilder bis zur Unkenntlichkeit, reduziert sie auf Farbfragmente und die vage Idee von Geschichte.

Bei der künstlerischen Intervention handelt es sich immer um eine Reaktion auf eine vorgefundene Situation. Dabei kann der Künstler unterschiedliche Strategien verfolgen: Zum Einen fügt er sich in das Ensemble, sodass es dem Besucher kaum auffällt, dass sich ein zeitgenössisches Element in das historische Ambiente geschlichen hat, gleichsam einem subversiven Akt, einer Appropriation durch den Künstler. Die gegensätzliche Strategie bestünde in einer Geste, die dem Besucher sofort verdeutlicht, dass hier ein Eingriff vorgenommen wurde. Beides zwingt den Betrachter, in der Hofburg zumeist Staatsgäste aber im Rahmen der offenen Türe am Staatsfeiertag auch zahlreiche Bürgerinnen und Bürger Österreichs, seine Beobachtung zu schärfen und Position zu beziehen, manchmal auch seine Denkgewohnheiten und Sichtweisen in Frage zu stellen.

Darüber hinaus ist die künstlerische Intervention aber auch ein Bekenntnis zur Bedeutung von Kunst und Kultur, in einem Land, das international vor allem für seine kulturellen Leistungen anerkannt wird. Durch die Intervention von Peter Baldinger wird gleichsam ein Bogen vom Barock bis in die Gegenwart gespannt, die Hofburg, die für die traditionsreiche Geschichte Österreichs steht, ist im Heute angekommen.

DAS MÄDCHEN UND DER TOD

Peter Baldingers Vanitas-Allegorien im Wiener Palais Sturany

Peter Baldinger, Oberösterreicher und Wahlwiener des Jahrgangs 1958, ist ein Künstler, der von Anfang an unkonventionelle Wege beschritt. Er wählte nicht die „klassische“ Ausbildung an Kunstschulen, sondern erarbeitete sein Wissen und Können in der Realität. Wobei es gerade diese „Realität“ und ihre verfremdeten Reflexe in den Medien sind, die ihn künstlerisch beschäftigen. Baldinger ist einer der wenigen Künstler des Landes, die sich auf Basis professioneller Erfahrungen mit Schein und Sein unserer mediatisierten Zivilisation beschäftigen. Und auch die Moral zur Debatte stellt, die da anzuwenden wäre. Mehr noch, Baldinger integriert – ebenfalls auf Basis langjähriger professioneller Erfahrungen im Produktionssektor des österreichischen Museenbetriebs – auch noch die Kunstgeschichte in seine visuelle Befragung der heute subjektiv zu erlebenden Realität. Im Wiener Palais Sturany, das sich in der Gründerzeit einer der erfolgreichsten Baumeister der Ringstraße ebendort als repräsentativen Wohnsitz errichtet hatte, zeigt Baldinger nun neue Arbeiten, die sich mit Schönheit und Tod, mit Wahrheit und Trugbild befassen. Der Ort ist durchaus sinnfällig, zeigt er doch gleichzeitig Größe und Vergänglichkeit einer einst als unzerstörbar geltenden gesellschaftlichen Realität. Bauherr Sturany hatte keine geringeren als Franz Matsch und Gustav Klimt mit der Ausstattung seiner Repräsentationsräume in der titelgebenden „Bel Etage“ beauftragt – die Deckenbilder dieser jüngsten Ringstraßenmaler sind noch heute zu bewundern. Das Haus wurde zuletzt von der Universität Wien genutzt und wird demnächst von seinem Eigentümer, der Bundesimmobiliengesellschaft, einer neuen Nutzung zugeführt. Der kurze Zeitraum zwischen alter und neuer Verwendung bietet sich perfekt für eine temporäre Ausstellung an dieser prominenten Adresse an. Baldinger nutzt das für die Präsentation mehrerer Serien groß- und kleinformatiger Acrylbilder. Die Serientitel “Nude Diffusion”, “Flash”, “Skull”, “Most Wanted” und “Unidentified” geben klare Hinweise auf die Themen. “Verunklärung”, “Unidentifiziert”, “Meistgesucht” – all das sind Begriffe, die uns aus der Medienberichterstattung über Kriminalfälle bekannt sind. In der Tat hatte Baldinger nach kurzem Kunstschulstudium einige Zeit als Gerichtsreporter gearbeitet. Es gibt wohl kaum einen anderen Ort, an dem man die extreme Diskrepanz zwischen der erlebten und der mediatisierten Realität intensiver erfahren kann. Hier echte Menschen, die Leid erfahren, da ein Rasterbild mit Balken, was zwar Persönlichkeitsrechte schützt, damit aber auch das Menschsein relativiert. Mit einem Arbeitsaufenthalt 1997 in den USA kam Baldinger in direkteren Kontakt mit jener Medienwelt, die heute auch die Kunstwelt durchdringt. In Wahrheit geht es ja im derzeitigen quotenorientierten Showbetrieb kaum jemals um künstlerische Inhalte, sondern meist nur um ein streng redigiertes, möglichst attraktives und ungefährliches Symbolbild der „Kunst“. Die Realität ist nur insoferne akzeptabel und verkäuflich, als sie keine Irritation in der TV- und Wohnzimmeridylle verursacht. Reale menschliche Probleme verschwinden hinter dieser Scheinwelt, die nach Printmedien und Fernsehen nun zunehmend auch die Kulturwelt und die gebaute Realität beeinflusst. Über mögliche Konsequenzen denkt kaum jemand nach, und so bleibt es bei Künstlern wie Peter Baldinger, diese gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen. Das Blitzlicht in „Flash“ löscht die Gesichtszüge der Abgelichteten aus, auch der Totenschädel wird durch den Riffel-Filter des Kathedralglases gesehen. Die “unidentifizierten” Hinterkopfbilder machen ebenso wie die Akte hinter dem Wellenglas deutlich, dass das Prinzip auch umgekehrt funktionieren kann: Geliebtes, Schönes lässt man zum eigenen Schutz besser nicht allzu klar in Erscheinung treten – ein desillusionierter, gedämpfter und damit sehr zeittypischer Hymnus an die Schönheit. Das gilt auch für historische Kunst, wie Baldingers Beschäftigung mit Goya und Velazquez beweist – wir haben zwar heute keine Möglichkeit mehr, physisch und emotional nachzuvollziehen, was Malersein damals bedeutete, aber wir müssen es dennoch mit aller Kraft versuchen. Irgendwie beunruhigend, aber spannend – Medienkritik sollte zum Pflichtfach werden!

AHNUNG UND SYMBOL

Peter Baldinger evoziert mithilfe neuester Bildtechniken älteste Bildfunktionen

Malerei heute

Was kann die Bildkunst heute noch leisten? Künstlerische Arbeit in der zweiten Dimension und auf begrenzten Flächen besinnt sich derzeit vor Allem auf das, was typisch und authentisch für dieses Medium ist und in keinem anderen Medium so gesagt werden kann. Die Versuche der klassischen Moderne, dem Bild mit Hilfe von Licht, von Bewegung und plastischer Erweiterung mehr abzugewinnen, als es seit seiner urzeitlichen Erfindung als Abbild der Umwelt, des Menschen und des Heiligen zu leisten gewohnt war, sind mittlerweile Geschichte. Denn Licht, Bewegung und Plastik haben nun längst ihre eigenen Medien gefunden – die Lichtkunst, die digitale Kunst und die Objektkunst. Das Bild kann sich heute wieder auf sein Ureigenstes besinnen – das Symbolische. Und was wäre das im Medienzeitalter? Wie schon seit Urzeiten: Die Reflexion der Lebensbedingungen des Menschen in Bildern, die handwerklich hergestellt werden, also gemalt, gezeichnet oder gespachtelt. Damit die Andersartigkeit im Vergleich zu digital oder sonst wie maschinell generierten Bildern unübersehbar wird und so explizit auf ursprüngliche Bildfunktionen verwiesen wird, stellen viele Maler gerade diesen sinnlichen Material-Aspekt in den Vordergrund ihres Stil-Repertoires. Soviel zum Medium Malerei und seinen aktuellen Techniken. Doch wie sieht es mit den Inhalten aus? Wenn die Bildkunst in der langen Geschichte vor der Moderne, also im Grunde während ihrer gesamten jahrtausendelangen Lebenszeit bis in die letzten Jahre, sich mit der Reflexion unserer Lebensbedingungen befasste, so kann auch diese Eigenschaft auf die Gegenwart übertragen werden. Am Anfang stand das Bannen und Bezaubern des Dargestellten im Vordergrund der Bildintention, bald trat dann das Bezaubern des Betrachters durch perfektionierte Illusion hinzu, um am Ende der Vor-Moderne schließlich vom subjektiven Erleben unserer Lebensbedingungen durch sensible Künstler, etwa im Impressionismus, als letzte „genuine“ Dimension der Bildkunst abgeschlossen zu werden. Wendet man diese klassische Trias – Bannen, Betören und Fühlen – auf die heutigen Lebensbedingungen an, dann sind deren Gegenstände natürlich nicht mehr Beutetiere, Heilige oder Bootsfahrten auf der Seine, sondern die dramatischen Wirkungen der Technik auf die menschliche Seele, die sich bekanntlich viel weniger schnell entwickelt hat, als der industrielle Fortschritt. Und da gibt es wiederum mindestens zwei mögliche Strategien. Entweder der Maler von heute entzieht sich diesen Zumutungen – subjektive Entscheidungen des Künstlers sind ja seit der Renaissance erlaubt – oder er macht gerade die Technologie zum Gegenstand seiner Kunstproduktion. Viele begabte Maler von heute haben sich für den ersten Weg entschieden und versetzen ihr Publikum ins Innere der Natur oder in die Mythenwelt unserer Geschichte und Phantasie. Andere wiederum – und zu ihnen zählt Peter Baldinger – thematisieren die Wirkungen der (digitalen) Medien ganz explizit. Und man sieht dabei, dass dies von außerhalb der thematisierten Sphäre her besser möglich ist, als innerhalb. Zumindest heute, am Beginn des digitalen Zeitalters und am Außenrand seiner Domäne, lässt sich ihr Wesen vielleicht noch besser und unvoreingenommener beschreiben, als von innen heraus.

Eine neue Bildtechnik

In früheren Publikationen über Peter Baldinger wurde bereits ausführlich der Weg beschrieben, auf dem er sich diesem mitreißenden Projekt genähert hat. Autodidakt als Künstler (das hat er mit den Größten der Zunft gemeinsam), intensive und langjährige Erfahrungen in Medienindustrie und Kommunikationsbranche – parallel dazu aber eine kontinuierliche selbstständige Kunstproduktion, welche die genannten anderen Sphären seit Jahr und Tag kritisch begleiten. Als sinnfälligstes Symbol dient dabei stets die Technik, die zwischen der Realität und ihrer medialen Rezeption steht. Im Zeitalter der dominierenden Printmedien war das noch der grobe Bildraster, der schon Andy Warhol und Roy Lichtenstein faszinierte. Indem er über die Realität gestülpt wurde, verwandelte er sie in eine eigene Sphäre, die mit dem ursprünglichen Gegenstand nicht mehr viel zu tun hatte. Im Grunde waren die Leser und Seher also immer noch in der Situation der Zuhörer von mittelalterlichen Geschichtenerzählern, die aus den historischen Tatsachen ihr eigenes Kunstwerk generierten, das natürlich oft viel interessanter war, als die oft banalen tatsächlichen Ereignisse. Nach dem Druckbildraster bemühte Baldinger das Kathedralglas als weitere Steigerung von dessen Filterfunktion. Es hat zudem den Vorteil, dass schon seine Verwendung gewissermaßen eine künstlerische Technik ist – der Name dieser gewellten Glasscheiben spricht für sich. Szenen und Gegenstände wirken durch dieses Glas gesehen diffus, generieren aber überaus lebendige Bildeffekte. Ging Baldinger mit dieser Serie technologiegeschichtlich sozusagen einen Schritt zurück, so sprang er mit der Verwendung der digitalen Bildpunkte in die Gegenwart und Zukunft. Denn nahezu jedes heute generierte Bild ist ein digitales. Es besteht aus zahllosen Bildpunkten (eigentlich färbigen Quadraten), deren matrixartiges Arrangement in der Fläche erst in starker Verkleinerung der so entstehenden Bildfläche zum Verschwinden der Punkte und zur Wahrnehmung der beabsichtigten Bildstrukturen durch das menschliche Auge führt. Geht man jedoch den umgekehrten Weg und zoomt sich in das Bild hinein, dann vergrößern sich die „Pixel“ und ergeben am Ende in einem beliebigen Ausschnitt eine willkürlich erscheinende Komposition farbiger Rechtecke. Statt sich in das Bild „einzuzoomen“, kann man aber auch einfach die Größe der einzelnen Bildpunkte verändern: Wenn sie nicht mehr mikroskopisch klein sind, sondern auf mehrere Zentimeter Kantenlänge anwachsen, dann abstrahiert sich das Bild radikal. Nur die gröbsten Helligkeits- und Farbunterschiede der ursprünglichen Komposition werden nun wiedergegeben. Erst das „korrigierende“ Zurücktreten des Betrachters verschafft diesem wieder einen vagen Eindruck des Dargestellten, das jedoch in Baldingers Bildern nie eindeutig ist, sondern stets im Diffusen und in der Sphäre der Ahnungen bleibt – übrigens eine weitere sehr „alte“ Bildfunktion aus den Tiefen ihrer kultgebundenen Geschichte.

Verschiedenste Implikationen

Diese Bildtechnik erweist sich als überraschend vielfältiges Instrument. Baldinger steigert ihre Wirkung noch dadurch, dass er die extrem vergrößerten Bildpunkte nicht monochrom darstellt, sondern sie mit Pinsel und Farbe malt – die so entstehende Struktur vermittelt den Bildern eine Art Handwerklichkeit, die jeder Betrachter sofort mit Qualitäten traditioneller Malerei assoziiert. Doch es ist weit mehr als bloß ein lustvolles Verwirrspiel zwischen alten und neuen Medien, das Baldinger mit seiner Kunst treibt. Die kritischen Wurzeln seiner Strategie wurden oben dargestellt. Seine neuen „Pixelbilder“ rühren nun an völlig verschiedene Sinn- und Inhaltsebenen, die dem Betrachter erst mit einiger Reflexion bewusst werden. Da wäre einmal – um zunächst einen relativ nebensächlichen Aspekt hervorzuheben – die unbestimmte Erinnerung an die Moderne, die diese Struktur bewirkt. Von Josef Albers über das Colorfield Painting bis zu Chuck Close hat sie immer wieder mit regelmäßigen Farbfeld- und chaotischen Bildpunktstrukturen experimentiert. Wieder ist das aber nur eine Art Ahnung: Es gibt wohl keinen eindeutigen Bezugspunkt, der die Radikalität von Baldingers Technik präfiguriert hätte. Ein weiterer Aspekt ist die Identität des Dargestellten: Nicht bedrohliche oder dämonische Gegenstände sind es, die Baldinger beschäftigen, sondern im Gegenteil – es sind weithin geschätzte Objekte der Kunstgeschichte oder Freunde und Bekannte, die dieser verfremdenden Betrachtung unterzogen werden. Die Sympathie des Künstlers ist seinen Sujets gewiss, es ist eine affirmative und keinesfalls eine kritische oder gar pejorative Behauptung, die da geliefert wird. Auch für diese emotionale Ebene leistet der Pixelraster gute Dienste: Denn das Geliebte darf niemals beim Namen genannt werden, Fotografie stiehlt dem Fotografierten im Erleben mancher Völker die Seele. So wird etwa die Begeisterung für Barockmalerei, die in einem figuralen oder expressiven Malstil ein wenig banal wäre, durch die Pixelung überzeugend und nachvollziehbar: Es sind nämlich die genialen Licht- und Farbeffekte im Großen, die umfassende Komposition, das typisch „Welthaltige“ des Barock, was diese Kunst auch heute noch so faszinierend macht. Ein dritter Aspekt kann direkt aus dem zuletzt Gesagten abgeleitet werden: Die digitale Bildanalyse enthüllt mehr als so manch andere bisherige Technik die „Konstruktion“ bewegender historischer Kunstwerke. Ihr formaler „Bauplan“ wird so zwar auf Knopfdruck freigelegt – dennoch trifft das aber noch keinerlei Aussagen über seine Ausführung. So wie es ganz verschiedene Handschriften von Maurern und Stukkateuren gibt, wird jeder Maler – sei es im Barock oder heute – einen erwiesenermaßen funktionstüchtigen Bildplan auf andere, höchst individuelle Weise ausführen. In Baldingers Bildern wird dieser Aspekt wiederum an seiner individuellen Maltechnik ablesbar. Er nennt seine Strategie augenzwinkernd „analog remastered“.

Aktuelle Projekte

Abschließend ein kleiner Überblick über aktuelle Baldinger-Projekte: In letzter Zeit entstanden einige größere raumbezogene Arbeiten, die – naheliegend für Österreich – den Barock thematisierten. Im Schloss Esterházy zu Eisenstadt „remasterte“ Baldinger ein Deckenfresko von Franz Anton Maulpertsch aus dem böhmischen Stift Strahov, das passenderweise eine Allegorie der Wissenschaften darstellt, für ein altes Erdgeschoss-Gewölbe, in dem eine neue Besucher-Cafeteria untergebracht wurde. Oben in der Mitte dominieren hellblaue Farbfelder, unten an den Rändern dunklere Töne – ganz so, wie die Helligkeitsverteilung in der klassischen barocken Deckenbilddramaturgie eben funktioniert. In einer Installation über der Adlerstiege der Wiener Hofburg verfährt Baldinger ähnlich: Genau jene Qualitäten barocker Lichtkunst, die hier nicht mehr existieren, werden auf zeitgenössische Weise für diesen Ort rekonstruiert. Und in einem Arrangement in der Wiener Galerie Elisabeth Michitsch zeigt Baldinger anhand einer Reihe kleinformiger Bilder, wie man das – quasi in einem klassischen Genre – auf Porträts bekannter Zeitgenossen anwenden kann: Sie sind allesamt in einem strengen Raster von acht mal zehn Pixel gemalt – ein weiterer kreativer Kommentar zu Geschichte und Gegenwart, der vom Betrachter Wissen, Anteilnahme und Sensibilität für malerische Strukturen verlangt. Das trifft auch auf die Erkundung anderer historischer Bildarten zu: In großen Formaten werden etwa Historienbilder, wie Davids Tod des Marat, untersucht. Kurz: Eine intelligente und für Maler und Betrachter gleichermaßen lustvolle zeitgenössische Malerei.

„PAPIER IST EIN SO ZARTES, FRAGILES MATERIAL, UND DOCH DAS TÖDLICHSTE…“


MB: Was hat eine Pistole im Papiermachermuseum verloren?
PB: Das Papiermachermuseum ist in unmittelbarer Nachbarschaft von Thomas Bernhards Refugium in Ohlsdorf gelegen. Da das Werk des Autors schon seit Langem eine große Rolle für mich spielt – er spricht mir praktisch aus der Seele –, lag es nahe, mich genau in dieser Ausstellung damit auseinander-zusetzen. Die Pistole nimmt Bezug auf eine Aussage Bernhards, dass er auf dem Papier jemanden umbringen könnte. Das hat er zu Hellmuth Karasek in einem Spiegel-Interview gesagt. »Jedes Wort ein Treffer« ist ja auch ein Spruch von ihm, zu dem meine Pistole treffend passt. Papier ist ein so zartes, fragiles Material, und doch das tödlichste, nicht nur im übertragenen Sinne. Papier ist der Träger von Botschaften. Und die können banal, revolutionär und eben auch tödlich sein.


MB: Welchen Bezug zur Raumstruktur der alten Halle gibt es?
PB: Bei der Planung der Ausstellung bin ich durch die ganze alte Papierfabrik gegangen und habe mich sofort für diesen ehemaligen Maschinenraum begeistert. Die archaische Struktur des Raums mit den gusseisernen Säulenreihen ist ideal für meine Rauminstallation. Die Säulen mit ihren massiven Querstreben werden zur Halterung meiner überdimensionierten Papergun, praktisch wie eine Lafette. Es entsteht der reizvolle Kontrast von finsterem, schwerem Stahl – dem eigentlichen Material für Waffen – und weißem, leichtem Papier. Eine wesentliche Komponente einer Ausstellung sollte grundsätzlich sein, einen Bezug zum Raum herzustellen, denn die Kunst steht ja nicht für sich, sondern immer in einem Kontext. Gegebenenfalls wird das Objekt erst durch den Kontext zum Kunstwerk. Für Duchamps Ready-mades und Objets trouvés beispielsweise war das ausschlaggebend. Meine Kunst reagiert mit ihrer Materialität auf die ursprüngliche Funktion des Raums.


MB: Warum ist deine Pistole in Papierschichten zerlegt?
PB: Genau das ist der Kern der Idee. Ein archaisches, schweres, metallenes, kaltes Tötungsintrument mit all seiner Präzision und Geschwindigkeit, dem ich seine Macht nehme, gerade indem ich es überdimensional vergrößere. Eine Handfeuerwaffe, die man nicht mehr handhaben kann. Die Filetierung war mir notwendig im Zusammenhang mit dem Material Papier. Natürlich könnte man auch aus Papier ein naturalistisches Modell schaffen, das Wesen von Papier ist für mich jedoch das Blatt in seiner Zweidimensionalität. Das große Ganze ergibt sich durch die Summe der Einzelteile.


MB: Woher kommt diese Zerlegetechnik? Sind ihre Wurzeln in deinem eigenen, oder auch im Werk anderer, etwa von Pop-Künstlern, zu finden?
PB: Mich interessiert das gleichzeitige Vorhandensein und Nichtvorhandensein. Bei der Papergun verhält sich das folgendermaßen: Von schräg vorne betrachtet ist die Form als solche erfassbar, man sieht eine Smith&Wesson. Von der Seite betrachtet hat man keine Ahnung. In all meinen Arbeiten spielt der Betrachterstandpunkt eine wesentliche Rolle. Ich mache darauf aufmerksam, dass die Dinge nicht immer sind, was sie auf den ersten Blick zu sein scheinen, sondern alles eine Frage des Standpunkts ist. Das gilt letztlich auch für meine Malerei: So sind meine low resolution paintings aus der Nähe betrachtet abstrakte Farbfelder, erst durch die Distanz werden sie zu gegenständlichen Darstellungen. Natürlich ist die Zerlegung der Form schon bei Cézanne ein Thema, sie wird von den Kubisten radikalisiert und taucht immer wieder auf. Am meisten beeindruckt haben mich aber die PolaroidCollagen von David Hockney.


MB: Weist die Pistole auf Aggressionen hin, und darf Kunst aggressiv sein?
PB: Natürlich spiegelt die Pistole die latente Aggression wider, die wir alle täglich empfinden. Und da komme ich wieder zu Thomas Bernhard, der eben sagt, dass er auf dem Papier jemanden umbringen könnte. Der Schriftsteller, dessen Waffe eben seine Sätze sind, der Künstler, der unverhohlen ausspricht, was er denkt.
Kunst darf alles, und daher darf Kunst auch aggressiv sein. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass Kunst aggressiv sein soll.


MB: Warum gibt es bei dir so oft literarische (Bernhard) oder kunsthistorische (Warhol, Tintoretto) Anspielungen?
PB: Weil alles eine Vorgeschichte, eine Herkunft hat. Man steht nicht isoliert für sich, sondern ist immer an einem bestimmten Punkt einer Entwicklung. Mich interessieren immer die Bilder und die Schriften derer, die vor mir etwas gedacht haben. Diese Art von »Kaspar-Hauser-Tum«, wie sie heute im Kunstbusiness weitverbreitet ist, widert mich an. Ich bin sozusagen hintergrundbesessen, will immer wissen, woher kommt, was mir einfällt. Darum liebe ich es, nachzulesen, nachzuschauen.


MB: Was ist die Rolle des Betrachters in deinen Installationen, ist er Teil des Werks?
PB: Wird das Werk nicht erst durch den Betrachter relevant? Kunst wird für Rezipienten geschaffen.


MB: Welche Rolle spielen Medien, wie etwa Bücher, Buchdruck, Zeitung oder Pixelrasterung, in deiner Arbeit?
PB: Eine bedeutende, so wie in unser aller Leben. Außerdem ist das wieder so eine Sache der Herkunft, schließlich war ich früher Journalist. Ich hatte ständig mit Murenabgängen, Banküberfällen, trauernden Hinterbliebenen von Verbrechensopfern und so weiter zu tun. Bis ich schließlich erkannte, dass die Diskrepanz zwischen dem persönlich erlebten Ereignis, der selbstverständlich verknappten Darstellung in der Zeitung und schließlich der vollkommen davon unterschiedlichen Erkenntnis des Lesers für mich problematisch wurde. Genau dieser Zwiespalt wurde zum Ansatzpunkt für meine künstlerische Arbeit.


MB: Ist die Medienwahrheit eine schlechtere Wahrheit als jene der sogenannten Realität?
PB: Only bad news are good news. Es kann fast nur schlechte Medienwahrheiten geben, denn sie wollen ja verkauft werden. Das liegt in der Natur der Sache. Und dieser Umstand kann nur immer schlimmer werden, denn die ständig notwendige Erhöhung der Geschwindigkeit der Verbreitung von Nachrichten sorgt dafür, dass die Qualität der Recherche und damit des vermittelten Inhalts zwangsläufig abnehmen muss. Die Wirklichkeit ist erfreulicherweise schon allein deshalb besser, weil sie mit dieser Geschwindigkeit nicht mithalten kann.


MB: Was ist die Aufgabe der Kunst in der Mediengesellschaft?
PB: Wie zu jeder Zeit muss auch heute die Kunst gesellschaftliche Gegebenheiten welcher Natur auch immer hinterfragen. Sie muss Fragen aufwerfen, aber nicht zwangsläufig Antworten liefern. Keinesfalls sollte sie jedoch zur Dekoration verkommen mit dem einzigen Anspruch, chic zu sein.

MB: Wie steht es um den Originalbegriff des Werks in der digitalen Ära?
PB: Es gibt diese schöne Geschichte: Giorgio de Chirico hatte Besuch in seinem Atelier und zeigte einen wunderbaren Rubens. Der Besucher war begeistert und fragte: »Ist der echt?« »Aber selbstverständlich«, antwortete de Chirico, »Ich habe ihn doch selbst gemalt«. Die Frage wurde also schon lange vor der digitalen Ära beantwortet.

FACEBOOK

Individualität gilt allgemein als entscheidendes Merkmal des Porträts. Doch schon in der Antike brachte die Darstellung des menschlichen Antlitzes eine repräsentative und politische Aussage zum Ausdruck. Es gilt als Faktum, dass eine Reihe von griechischen Bildnissen nicht die individuellen Züge der Porträtierten trug, sondern deren idealisierte Wiedergabe. Die Identität beschränkte sich daher wohl nur auf den Namen in der Inschrift am Sockel. Aber wann ist diese Grenze zwischen Real und Ideal wirklich nachvollziehbar? Und stellt sich die Frage nach der Individualität des Porträts heute wirklich völlig neu? Damals wie heute spielten Kriterien wie Auftraggeber, Ausstellungs- oder Aufstellungsort, Zeitpunkt und Inhaltlichkeit des Bildnisses eine Rolle, mit Ausnahme des repräsentativen Aspekts, auf den das zeitgenössische Porträt zumeist gänzlich verzichtet. Vor allem die heutige Werbe- und Life-Style Industrie benützt eine vorgetäuschte Individualität, um ihre Inhalte zielgruppenorientiert zu platzieren. So gesehen ist das Bild nie nur ein Abbild, sondern auch ein Bild der Gegenwart, im Umfeld des Dargestellten oder des Fotografen und Künstlers. Im Zentrum der Ausführungen stehen die Bildsprache und deren Inhalte. Selbst dort, wo anscheinend eine private Charakteristik wiedergegeben wird, in den Chatrooms, Facebooks und Singlebörsen des World Wide Web, regiert das Spiel des Tarnens und Täuschens. Das Internet bietet in den Weiten seiner Kommunikationsräume unendliche Möglichkeiten der Selbstdarstellung zwischen Realität und Wunschvorstellung. Es generiert eine Identität, die vom Repräsentativsten bis zum Intimsten alle Abstufungen durchlaufen kann. Das Gesicht fungiert dabei als Mitteilungsmedium und Membran einer digitalen Begegnung. Spätestens seit Andy Warhol durchbrach das Porträt die Grenzen zur Werbeindustrie. Hier drückt das Porträt kaum Individualität aus, sondern wird zur Projektionsfläche und ordnet sich der individuellen Handschrift des Modefotografen unter. Dies wurde kurz unterbrochen durch die Popularität der “Big Five”, jener Models, die ad personam Karriere machten, von Cindy Crawford, Linda Evangelista über Claudia Schiffer bis hin zu Kate Moss. Heute benützt die Werbeindustrie auch die Porträts bekannter Schauspielerinnen und schafft dennoch einmal mehr Stereotypen, allein schon durch die Möglichkeiten der Bildbearbeitung. Doch schon Andy Warhol zeigte, dass die stilisierte Wiedergabe eines Gesichts mittels weniger Merkmale zum “Must Have” wurde. Dass er eines der beiden Porträts von Joseph Beuys mit einem Camouflagemuster überzog, mutet in der Übersetzung aus dem Französischen mit Irreführung, Täuschung und Tarnung nahezu als ein Vorgriff auf die späteren Möglichkeiten einer digitalisierten Bildbearbeitung an. Was zeigt also ein Porträt wirklich? Selbst Sokrates vermisste die Charakteristik einer Person in der bloßen Abbildung der äußerlichen Physiognomie. So fragte er den Maler Parrhasios: “Warum ahmt ihr nicht auch die seelischen Eigenschaften nach, das Überzeugendste, das Angenehmste, das Holdeste, das Begehrenswerteste?” Doch der Maler antwortete: “Wie könnte denn etwas nachzubilden sein, mein lieber Sokrates, dass weder Gleichmaß, noch Farbe, noch sonst etwas hat, noch überhaupt sichtbar ist?”.¹ Wobei anzumerken ist, dass selbst Sokrates nicht vom Abbilden, sondern vom Nachahmen sprach. Das heißt, das Porträt kann im besten Fall dem Dargestellten ähnlich sein, wirklich erfassen kann es eine Person nicht. Es stellt nach Parrhasios im besten Fall das dar, was man sieht. Dennoch kann ein Porträt benutzt werden, um Stimmungen und Gefühle darzustellen, doch sind dies bereits Interpretationen und konzeptuelle Überlegungen des Malers oder Fotografen. Das Gesicht wird dazu benutzt, etwas auszudrücken, was jedoch eventuell mit der Identität der Person nichts mehr zu tun hat. Der Umgang mit der Realität des Fotos und der Anspruch des Betrachters, damit tatsächlich ein Bild der Wirklichkeit vor sich zu haben, bildet daher die Basis der konzeptuellen Überlegungen des Malers Peter Baldinger. Geboren 1958 in Linz, arbeitete er bis Anfang der Neunzigerjahre als Journalist. Die Distribution von Fotografie in Tageszeitungen und Magazinen ist dem heutigen Wahlwiener nicht nur vertraut, sondern wurde auch in seiner künstlerischen Tätigkeit zum kontinuierlichen Thema. Und hier vor allem die Erfahrungen “mit dem Schein und Sein unserer mediatisierten Welt”.² Die Darstellung des menschlichen Körpers und das Porträt sind daher die zentralen Themen seines malerischen Œuvres. Doch zielte Peter Baldinger stets auf eine Verfremdung, sodass die von ihm dargestellten Menschen nicht auf den ersten Blick erkennbar sind. Entweder malte Peter Baldinger seine Modelle von hinten oder er verlieh dem Porträt eine Unschärfe, indem er den Dargestellten durch ein Riffelglas fotografierte und dieses als Vorlage für seine Malerei verwendete. Natürlich ging es in diesen Arbeiten auch um eine visuelle Befragung von Subjektivität, doch letztlich zielte Peter Baldinger darauf, die reale Vorlage soweit zu reduzieren, dass die Malerei sich eindeutig in den Vordergrund spielte. Mit der Werkserie Facebook ist er diesem Vorhaben bisher am nächsten gekommen, indem es ihm gelungen ist, seine Malerei an jener Grenze anzusiedeln, wo sie zwischen Realität und Abstraktion oszilliert.

So sind seine, aus jeweils 80 quadratischen Farbfeldern bestehenden Bilder abstrakt – und dennoch reale Porträts.

Als Vorlage dienen Porträtfotos aus dem Internet, die der Künstler zunächst mithilfe eines Computerprogramms überarbeitet und so stark vergrößert, dass die fotografische Darstellung des Gesichtes als Pixelgrafik am Computer erscheint. Da diese jeden einzelnen Bildpunkt exakt beschreibt, sind die Farben jedes Bildes eindeutig der jeweiligen Vorlage zuzuordnen. Die Farbrasterung ist daher trotz seiner Abstraktion eindeutig auch ein Porträt. Doch gibt die Malerei nicht vor, ein physiognomisches Abbild einer Person wiederzugeben. Peter Baldinger zeigt in seiner Malerei ganz pragmatisch ein Abbild eines digitalen Fotos, dargestellt in der Struktur von Rastergrafiken. Das Sujet des Porträts wird so seiner Geschichte und charakteristischen Subjektivität entleert und auf die farbliche Zusammensetzung aus Bildfeldern reduziert. Es liegt ein demokratischer Zug über seiner Werkserie Facebook, denn alle Bilder bestehen aus 80 Farbfeldern, egal wie groß sie sind und wen sie abbilden. Kate (Moss) und Andy (Warhol) stehen daher gleichwertig Porträts gegenüber, die weit weniger bekannte Gesichter aus dem persönlichen Umfeld des Künstlers zeigen. Als einziger Tribut an ihre Identität erhält jedes Porträt als Titel den Vornamen des Dargestellten. Letztlich ist der Realismus seiner Bilder in seiner Pragmatik frappierend, indem sie nicht vorgeben, etwas anderes zu sein, als sie sind, denn auch das Foto in der minimalen Auflösung von 72 dpi am Bildschirm zeigt uns nichts anderes als ein Bild, bestehend aus einer Anzahl von Pixeln. Die scheinbar willkürlich zusammengesetzten Farbquadrate sind eine exakte Übertragung der digitalen Bildanalyse, und so verlieh auch der hohe Weißanteil der Pixel am Computer der Serie ihre charakteristischen Pastelltöne und nicht die individuelle Farbwahl des Künstlers. Peter Baldinger geht in seinem Malprozess nicht von der Realität der Natur aus, sondern orientiert sich an der indirekten, digitalen Wirklichkeit des Computerbildes, das er auf die Leinwand überträgt. Ein Raster aus Farben, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Der Anspruch an die Realität eines Bildes im Internet ist Chimäre und erzählt nur von unseren Ansprüchen an die Fotografie, indem wir Dinge erwarten, die die Fotografie gar nicht leisten kann. Sie kann nur einen Augenblick festhalten und weder das Davor oder Danach. Hier hat die Malerei weitaus mehr Möglichkeiten, das Thema Zeit zu integrieren. Und selbst dort, wo die Fotografie von Ereignissen erzählt, geht durch die Notwendigkeiten des Layouts und die Schnelligkeit der Datenübermittlung stets ein Teil ihrer Geschichte verloren. Das Bild wird verkleinert oder ein Detail als Ausschnitt genommen. Die Fotografie ist eine Konstruktion desjenigen, der hinter der Kamera steht, meinte der Fotokünstler Thomas Struth in einem Interview.³ Die Realität der Bilder ist daher bereits eine des Fotografen und wird später zu einer der Distribution von Daten und ihrer Konsumation durch den Betrachter. Die Digitalisierung hat zusätzlich ein breites Spektrum von Sichtweisen und Wahrnehmungen generiert, zwischen Montage und Dekonstruktion. Die Fotografie wird zum Faktum des Fragmentarischen und die Kunst realisiert sich im Hinweis auf die jeweiligen Lücken dazwischen. Dass die zeitgenössische Kunst daher die Darstellung des menschlichen Antlitzes im Kontext einer forcierten Auseinandersetzung mit Identität und Authentizität wieder in den Mittelpunkt rückt, ist evident. Peter Baldinger blendet diese Themen im Bild aus, in dem er sich auf dessen materielle Beschaffenheit konzentriert und damit gleichzeitig auch fixiert, dass die Realität einer abgebildeten Person stets nur eine Fiktion sein kann. Doch generiert Peter Baldinger durch die Transformation des Computerbildes in die Malerei dennoch für jedes Porträt ein individuelles „corporate logo“.

Der Betrachter muss das Bildnis jedoch aus den Farbfeldern enttarnen.


Die Kopfform genügt für die Erkennbarkeit, aber auf der Suche nach der Authentizität stößt man an seine Grenzen. Die Realpräsenz des Gegenübers bleibt bewusst ein Defizit zwischen Abbild und lebendigem Urbild des Porträtierten.

TÖDLICHE BOTSCHAFT

Zur installativen Trilogie Papergun, low resolution paintings sowie burning books von Peter Baldinger im Papiermachermuseum Steyrermühl und im Thomas Bernhard-Haus in Ohlsdorf


»Schieß!«
US-Western
Das Werk von Peter Baldinger impliziert in der Regel immer vielfältige Bezüge auf Räumliches, Kunsthistorisches, Literarisches oder auch Technisches. Dies gilt auch für seine neueste, drei Werkpassagen umfassende Arbeit, die In-situ-Installation Papergun, die Bildserie low resolution paintings sowie fotografische Arbeiten zum Thema Bücherverbrennung (im Bernhard-Haus in Ohlsdorf). Betritt man den Raum der ehemaligen Chlorbleiche der alten Papierfabrik Steyrermühl (dem einst chemisch hochgiftigen Arbeitsbereich der Fabrik), findet sich, eingespannt in die historischen Eisenträger, ein immenses Blow-up einer Smith&Wesson-Pistole.


Betrachtet man sie jeweils frontal von vorn und von hinten, figuriert sie ikonisch wie eine echte, überdimensionale Pistole. Von der Seite gesehen löst sie sich jedoch in 44 sequenzielle Schichten auf, die sich bei näherer Betrachtung im dunklen Raum als aus Papier gefertigt entpuppen und frei im Raum zu schweben scheinen.


Was sich im ersten Moment als skulpturales Papierwerk offeriert, welches in dekonstruktiver Weise eine analytische Erweiterung des Skulpturbegriffes zu implizieren scheint und zugleich mit (provokativen) Bildstrategien der Pop-Art hantiert, eröffnet semantisch eine gänzlich andere Dimension, die ihren Ausgangspunkt im literarischen Werk und in Äußerungen von Thomas Bernhard hat, wo er einmal davon spricht, dass man auf Papier auch jemanden umbringen kann, wenn auch nur auf dem Papier.


Es ist die semantische Bedeutungskollision von Pistole und Papier, welche den Brückenschlag zum Werk von Bernhard bildet – ein effizientes Tötungsinstrument, wie es die Pistole darstellt, entpuppt sich als »papieren«, also machtlos, während sich Text auf Papier oft als machtvoll und tödlich erweisen kann. Die Themen Macht, Gewalt, Tod, unabdingbar mit Pistolenwaffen verknüpft, werden hier mit der Medienmacht und -gewalt von Zeitungen, Büchern etc. verschränkt, die sich auf dem Trägermaterial Papier manifestieren (man denke etwa an das Buch Auslöschung von Thomas Bernhard). Das Bedrohliche der papierenen Pistole erfährt durch den Transfer zur Macht der Printmedien eine neue und unerwartete Bedeutungsaufladung. In Folge stehen aber auch die mögliche Macht und Gewalt ästhetischer Äußerungen wie Bilder oder Werke generell zur Diskussion.


Diesen Brückenschlag macht Peter Baldinger im Kontext der speziell für das Papiermachermuseum realisierten Installation Papergun mit seiner großformatigen Bildserie low resolution pantings, die sich thematisch mit Tod und Gewalt auseinandersetzt; man lese nur die Bild-titel Skull, Ben als Tod, die Bezug auf den mit dem Künstler befreundeten Schauspieler Ben Becker nimmt, der im Jedermann in Salzburg zurzeit wieder den Tod darstellt, oder Targeting You – sie alle verweisen auf eine Ästhetik der Gewalt.


Seit vielen Jahren beschäftigt sich Peter Baldinger mit der Erfahrung digitaler Bildtechnologie und damit auch mit Mediengewalt. Im künstlerischen Selbstverständnis als Maler setzt er sich in spezifischer und neuer Weise malend mit digitalen Bildformen auseinander. Anders als die immanente künstlerische Verfahrensweise der Analyse, wie wir sie im vielfältigen Zusammenhang mit digitaler Fotografie kennen (es sei hier im Kontext des Salzkammerguts etwa auf das rezente Werk der zu Unrecht so wenig rezipierten Künstlerin Inge Dick verwiesen, die seit Anfang der 1980erJahre am Mondsee lebt und arbeitet). Baldinger geht es nicht um ein intrinsisches Sichtbarmachen bloß technologischer Notationen und der daraus resultierenden ästhetischen Effekte, sondern um den Transfer in die Malerei und die daraus resultierenden möglichen pikturalen und
gesellschaftlichen Erkenntnispotenziale. Und erinnern die quadratischen Pixelelemente nicht fatal an
quadratische Zielscheiben, wie sie öfter bei Wettschießen verwendet werden?


Gezielt arbeitet er dabei mit den digitalen Pixeleffekten, ihrer quadratischen Matrix (Matthias Boeckl hat dies bereits früher eingehend zum Werk des Künstlers dargelegt). Im Transfer etwa mit Aquarell auf Papier werden sie für ihn zu einer Möglichkeit, das genuine Medium und damit dessen (gewalttätige oder machtbezogene) Dimension zu unterlaufen. Basierend auf der Pixelmatrix werden Mediensichten entfaltet, die vom Ikonischen bis hin zum Abstrakten der Pixelbilder reichen. Wesentlich dabei ist, dass Baldinger immer Bezug auf ein reales Sujet (hier vor allem Porträts) nimmt und so Pixeleffekte transferiert und relationiert. Er verbindet mit dieser Verfahrensweise den Aspekt der Mediensicht mit der Frage nach Sichtbarkeit und damit nach visueller Wirklichkeit generell. Es geht weiters vorrangig um die essenzielle Frage nach bildtechnischer Medienmacht und deren Vernichtungspotenzial als Wirkung auf den gesellschaftlichen »Körper« des Einzelnen als Effekt von Bildbeschleunigung: Speed kills!


Als dritter Diskurs figuriert nicht zufällig das fotografische Bild. Mittelformatige Colour-Prints, auf Aluminium kaschiert, thematisieren, dokumentieren und reflektieren die fotodigitale Ästhetik von verbrannten Büchern. Ohne konkrete historische oder politische Ereignisse zu inkludieren, sind sie Zeugnisse von kultureller Vernichtung, wie sie in jeder gesellschaftlichen Epoche als Folge von Gewalt, Krieg oder sonstiger Aggression stattfanden und stattfinden. Die im Bernhard-Haus in Ohlsdorf präsentierte fotografische Serie knüpft unmittelbar an Äußerungen von Thomas Bernhard an, aber auch an seine Erfahrung der Beschlagnahmung seines Buches Holzfällen in den 1980erJahren. Aufgrund des dokumentarischen Charakters hat bis heute kein Bildmedium derart verheerende Tötungsfolgen ausgelöst wie das fotografische Bild. Die Wiedererkennung – der ikonische Code (Fahndungsfotos: »Wanted«! Siehe dazu Baldingers frühere Arbeiten Most Wanted aus der SerieDiffusions) – machte sie zu einem effizienten Tötungsinstrument (Roland Barthes hat gemeint, Fotografen seien »Agenten des Todes«); ihre Rhetorik – ein »Foto schießen«, »auf den Auslöser drücken« – assoziiert per se das verbale Arsenal der Waffenrhetorik. Peter Baldinger allerdings, versucht sie durch seine Bildstrategie der Diffusionierung zu unterlaufen.


Im dokumentarischen Potenzial der Fotografie liegt ihr genuines Gewaltpotenzial in Form von Wahrnehmungsfokussierungen. Das scheinbar banale (Her-)Zeigen von Bücherverbrennungen zeigt zugleich das Ruinöse der Zeitlichkeit als antizipierte Tötung. Peter Baldinger fokussiert die ästhetischen Prozesse dieser tödlichen Freisetzung von Zeit in der fotografischen Metaphorik des Verbrennens als Prozess der »Auslöschung«: Der fotografische »Schuss« wird zur Verblindung der Welt durch die fotografische Belichtungszeit. Der fotografische Tod ist die mediale Überbelichtung der Welt, die Gewalt des fotografischen Lichtes im Brennpunkt der (Belichtungs-)Zeit. Wenn nach Thomas Bernhard die Kunsthistoriker die großen Kunstvernichter sind (siehe Alte Meister), so ist die Fotografie die große Weltvernichtung. Erst durch die Fotografie wird die Welt endgültig vernichtet, sie ist die größte Weltvernichterin, die allergrößte Weltvernichterin. Gäbe es die Fotografie nicht, gäbe es keine Weltvernichtung …, könnten wir analogisierend Thomas Bernhard paraphrasieren. Der künstlerische Diskurs ist ein besonderer Weg der Bedeutungsgewinnung. Peter Baldinger ist sich dessen nicht nur bewusst, er lotet diese Bedeutungsgewinnung durch das projektive Moment der Wahrnehmung sowie durch den Transfer von Medienbedeutungspotenzialen auch aus, indem er sich jedweder medialer Vereinnahmungstendenz im künstlerischen Prozess entzieht.

“NICHTS IST ÜBER KUNST ZU SAGEN…”

„…, außer dass es sich dabei um ein Wort handelt. Von genau dort aus bis hierher ist alle Kunst literarisch geworden. Wir leben noch nicht in einer Welt, in der alles aus sich heraus verständlich ist. Es ist sehr interessant zu bemerken, dass viele Leute, die zum Beispiel das Reden aus der Malerei herausnehmen wollen, nichts anderes tun, als darüber zu reden. Dies ist jedoch kein Widerspruch. Die Kunst in der Malerei ist der für immer stumme Teil, über den man endlos reden kann.
Willem De Kooning


Eigentlich liegt die Schönheit im Auge des Betrachters. Mit der Wahrheit verhält es sich ähnlich: Das, was wir als wahr oder typisch kennen und erkennen, ist abhängig von dem, was wir gelernt haben, von den Symbolen, die wir deuten. Unsere Wahrheitsempfindung hängt mit unseren Erfahrungen zusammen und ist damit Teil unserer Identität. Wenn unsere Wahrnehmung zerrüttet und in Frage gestellt wird, zweifeln wir auch an der Wahrheit. Oft stellen wir uns die Fragen: Ist das, was ich sehe, wahr? Ist das, was ich abbilde / im Abbild zu erkennen glaube, wirklich eine Darstellung der Wahrheit? Wie kann ich mein Verständnis von Wahrheit anderen verständlich machen? Was stellen wir eigentlich dar? Wahrheit ist facettenreich. Wahrheit ist nicht allgemeingültig. Die Kunstgeschichte hat viele Möglichkeiten der Darstellung von Wahrheiten und Ideen von Wahrheit, von Identitäten und vermeintlichen Identitäten zur Diskussion gestellt und dennoch hat sich das Thema noch nicht erschöpft.


Peter Baldinger setzt sich in seinem Werk immer wieder mit Identität und Wahrheit(sfindung), die sehr eng verbunden sind, sowie (deren) Wahrnehmung auseinander. Aus dieser Auseinandersetzung entstanden u.a. zwei große Werkgruppen: “Unidentified” und “Diffusion”. Die Darstellung von Hinterköpfen in der Serie „Unidentified“ ist die scheinbare Anonymisierung eines Menschen. In Wirklichkeit aber wird dieser immer klar personalisiert und typische Merkmale sind für diejenigen deutlich erkennbar, die diese Person kennen. Die Abwendung vom Betrachter erwirkt eine Distanzierung. Bei den “Diffusions” ist diese Distanzierung ebenfalls spürbar, jedoch ist es keine Abkehr vom Betrachter, sondern ein vermeintlicher Sichtschutz durch den Blick durch das Riffelglas, der Neugier und Voyeurismus auf den Plan bringt.


Beide Serien scheinen unterschiedliche Methoden der Betrachtung zu repräsentieren, haben jedoch eine verwandte Aussage inne: die Neugier des Menschen und sein Drang zu identifizieren. Die Nummerierung der einzelnen Werke unterstreicht die Anonymisierung. Wie in den Verwaltungs- und Sozialsystemen unserer Staaten sind die Menschen lediglich Nummern, die ihnen in der Reihenfolge der Entstehung zugewiesen werden. Die Wahrnehmung von bestimmten Personen, Tieren oder Ereignissen wird durch die Betitelungen einiger Werke der “Diffusion”-Serie suggeriert. Gemälde wie “Ich war Goya”, hinterfragen nicht nur die Wahrnehmung unserer Umgebung, sondern auch unsere Wahrnehmung von Kunst und die Beeinflussung ihrer Beurteilung durch das, was wir als Stil oder „gute Kunst“ zu erkennen gelernt haben. Im Sinne von Willem De Kooning¹; ist Peter Baldinger jedoch nicht an Stil interessiert.


Der niederländisch-amerikanische Künstler und seine Einstellung zu und Umsetzung von Kunst faszinieren Baldinger. Er hat sich intensiv mit seinem Werk auseinandergesetzt und zieht gerade in seiner jüngsten Serie Parallelen zu dessen Schaffen. Den Weg, der De Kooning von der Darstellung von “Seelenlandschaften” zu aperspektivischen Bildräumen, die sich lediglich auf die Sichtbarmachung der malerischen Aktion konzentrieren, führte, hat Baldinger noch nicht vollends beschritten. Die Kontroversen und Verwirrungen, die De Koonings “Women”-Serie (1950-53) auslöste, zeigen jedoch, dass auch dieser mitunter zu Gesehenem und Erlebtem zurückgekehrt war, um sich nicht auf eine bestimmte künstlerische Haltung festlegen zu lassen. Je freier De Kooning über seine farbigen und formellen Mittel verfügte, desto mehr trat die “Seelenlandschaft” in den Hintergrund.


“Diffusion (v. lat.: diffundere = ausgießen, verstreuen, ausbreiten) (…) ist die gleich-mäßige Verteilung von Molekülen in dem Raum, der ihnen zur Verfügung steht. (…) Unter Diffusion im engeren Sinne versteht man den Ausgleich von Konzentrationsunter-schieden bis hin zum selbständigen Durchmischen, das durch diese Bewegung entsteht.”² So wird in Baldingers “Diffusions” die Molekularstruktur seiner Malerei und somit die Beschäftigung mit Abstraktion sichtbar. Die Zusammensetzung unregelmäßiger Farbfelder und -striche erinnert an Camouflage, zerstört das Gesamtbild und wirkt so einem Harmoniedenken entgegen, das die Farbflecken zu einem benennbaren Ganzen vereinigen will. Doch das Bild ist mehr als die Summer seiner Teile, denn die Abstraktion macht die künstlerische Intervention zum Thema: Eine Metamorphose der sichtbaren Realität und der dem Künstler eigenen Innenwelt wird sichtbar.


Im Gegensatz zum schöpferischen Geist De Koonings, steht Francis Bacons agressiv-zerstörerische Bildsprache. Während Paul Cézanne seine Bilder wie eine Partitur konstruierte, wodurch sie ruhig und konzentriert wirken, sind Bacons Arbeiten – wie jene Baldingers – eher dynamisch zerstreuend. Francis Bacon stellt dar, was er als Essentiell erachtet, und verzichtet bewusst auf kommentierte Aussagen und eine vorsätzlich tiefere Bedeutung, Anekdotisches lehnt er kategorisch ab. Bacon polemisierte gegen die Abstraktion und verwehrte in seiner Einzelgängerstellung jeglichen Einfluss zeitgenössischer Strömungen. Seine Werke sind keine Zwischenergebnisse einer Theorieentwicklung, sondern eine – mitunter erschreckende – Diagnose seiner persönlichen Wahrnehmung der ihn umgebenden, für den Menschen gefährlichen Realität. Baldinger hat sich nicht nur diese Auseinandersetzung, sondern auch Bacons Einstellung zur Serie zum Vorbild genommen: “Manchmal sind sie (die Bilder) in den Serien besser als einzeln, weil ich unglücklicherweise nie imstande gewesen bin, dieses eine Bild zu machen, das die Summe der anderen darstellt.”³


¹) Er hatte Stil als Betrug bezeichnet.
²) www.wikipedia.de (05.02.06)
³) Seine Serien der Darstellungen von Papst Innozenz X. nach Velazquez (1949-1953) sowie – auf
einerpersönlicheren Ebene – die Studien für ein Portrait von Isabel Rawsthorne (1965) sind dafür
exemplarisch.