MEDIA

Wahrheit in Pixel

Das Fastentuch 2013 im Wiener Stephansdom ist vom oberösterreichischen Künstler Peter Baldinger

Bis 30. März ist das Hochaltarbild des Stephansdoms von Tobias Pock mit dem Martyrium des heiligen Stephanus nach einem 1000 Jahre alten Brauch durch ein Fastentuch verhüllt. Für den Dom ist es allerdings eine Premiere, denn erstmals verdeckt das Kunstwerk eines Gegenwartskünstlers und nicht nur ein lila Vorhang den Altar. Die Augen der Gläubigen sollen fasten, allerdings durch diese Intervention mit aktueller Kunst sind Gedanken an die Passion und innere Einkehr mit dem Realgeschehen auf der Welt verbunden. Peter Baldingers Enthaltsamkeit ist nicht durch Farb- oder Formlosigkeit in dem Werk als Buẞezeichen für 40 Tage zu finden, er weist durch aktuelle Bildanalyse vor allem auf die übergriffige Macht der Bildmedien hin.

Beim Eintreten ist von ferne in seinem scheinbar gegenstandslosen, quadratischen Raster noch ein Bild des spanischen Barock zu ahnen: José de Riberas „Kreuzigung Christi” ist Ausgangsmotiv. Beim Nähertreten lösen sich der Hügel von Golgotha und der Gekreuzigte immer mehr in eine rhythmisch- geometrische Komposition auf. Die violette Grundfarbe steht für das Leiden neben der Trauerfarbe Schwarz, die der Künstler ausspart. Auch die Tradition der Grisaille, also der Reduktion auf Grautöne ist nicht seine Sache also handelt es sich nicht um ein „Hungertuch”, wie diese Leinwände im Mittelalter auch genannt wurden. Hier wird die Unbegreiflichkeit göttlicher Glaubensmysterien in einen aktuellen analytischen Wahrnehmungsprozess übersetzt. Pixel, die sich bilden, wenn die Unschärfe überhand nimmt, sind allen bekannt, die digital fotografieren. Zwischen den Ausdrucksmöglichkeiten liegt wie zwischen großen Affekten ein Moment ambivalenter Dramaturgie. Dieses Transferieren bietet andere Formen des Sehens.

Übersetzung eines grausamen Realisten
Baldinger ist in vielen Kunstmedien tätig, deshalb auch seine Übersetzung eines für seinen grausamen Realismus bekannten spanischen Barockkünstlers in eine Ideenkoppelung, in der auch die Geschichte des Bildes seit der Antike mitschwingt. Weitere Metaebene ist die frühkirchliche Ablehnung eines nachahmenden Gottesbildes durch Ikonoklasten, später Reformatoren und kunstfeindliche Ideologen. Einen zitiert Dompfarrer Toni Faber im Text zu Baldingers Fastentuch: Tertullian, der kein stummes, aus Materie und durch Menschenhand gemachtes Porträt von Christus duldete. Nachdem sich aber die Bilderfreunde durchsetzten, kam das Bild in den guten Ruf, mit seiner Schönheit biblische Inhalte erzieherisch zu vermitteln. Dabei wurde auch an die Analphabeten gedacht, die durch die Bilderflut unserer Zeit wieder zunehmen. Die Prototypen der frühen Ikonen wurden bei Ribera nach der das Bild bestätigenden Gegenreformation wichtige Medien zur Erziehung durch Leidensschock.

Nichts davon im neuen Fastentuch, denn da verbirgt sich die Sinnlichkeit barocken Bildrealismus hinter dem Pixelraster der Nachmoderne; der Schein heißt heute virtuelle Realität und Zeichendominanz. Baldinger hat der Ikone des Logos die heilige Geometrie” – auch schon eine Errungenschaft des Mittelalters – integriert, was zum Genießen der Augen die Gedanken ruhig anregt. Religion und Kunst sind gleichwertig, wenn die lange Geschichte über den Brauch der Bildverhüllung einen Denkfluss von der Grisaille des Spätmittelalters über die Faltenkaskaden des Barock in die Rasterung der Moderne anregt.

Foto: © Peter Baldinger
Text: © Brigitte Borchhardt-Birbaumer | Wiener Zeitung 13. Februar 2013
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