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St. Stephans neues Fenster, das (fast) keiner sieht

Kunst und Kirche. Peter Baldinger durfte in der Bartholomäuskapelle ein gotisches Fenster ergänzen. Für Zukünftiges bekam Dompfarrer Toni Faber einen Kunstbeirat zur Seite.


Nur die Wenigstens erraten es: Welcher berühmter Architekt der Moderne schätzte den Stephansdom als schönsten Innenraum Wiens? Das Gefühl, das einen hier erfasse, schrieb dieser, „ist stärker als nach der fünften von Beethoven. Aber die dauert eine halbe Stunde. St. Stephan braucht dazu eine halbe Minute.“ Adolf Loos, 1906.

Was hat gerade diesen in allgemeiner Vereinfachung gern als Minimalist bezeichneten Architekten an diesem unruhig und überladen wirkenden Kirchenraum derart fasziniert? Genau das. Dass er eben kein totes Inventarstück” sei, dass er uns unsere Geschichte” erzähle, weil sich alle Generationen in ihrer Sprache hier eingeschrieben hätten. Es wäre nicht Adolf Loos, wenn er nicht radikal relativieren müsste: Wenn die Mitarbeiterschaft der letzten vierzig Jahre nicht zu Worte kommt” – dann sei der Raum am herrlichsten”.

Es gibt nicht den geringsten Hinweis darauf, dass Loos’ Meinung heute anders ausfiele. Dennoch ist der Gedanke, den Stephansdom als Palimpsest der Zeiten zu feiern, ein würdiger. Seit der Einweihung diese Woche ist wieder eine neue Einschreibung dazugekommen, eine äußerst dezente, künstlerisch wie auch örtlich. Denn kaum jemand wird sie sehen, befindet sie sich doch in der nicht öffentlich zugänglichen Bartholomäuskapelle im Obergeschoß des süd-westlichen Kapellenanbaus. Nur bei Spezialführungen gelangt man über eine verborgene Türe und einen abenteuerlichen runden Aufzug dorthin, wo einst die Habsburger ihre Reliquien verwahrt haben sollen.

Nur kein Gerhard-Richter-Fenster!
In dieser Kapelle, die einst wohl dem Erzengel Michael geweiht gewesen sein muss, beachtet man die Michaels-Darstellungen der Schlusssteine des Gewölbes, befinden sich noch einige der wenigen gotischen Glasmalereien im Dom. Aber selbst diese nur bruchstückhaft. Das Hauptfenster in der Fassade des Doms, also links oben, wenn man vor dem Riesentor steht, hat jetzt der 1958 in Linz geborene Künstler Peter Baldinger zeitgenössisch ergänzt. Wobei er sich stilistisch und inhaltlich respektvoll zurückhielt: Das Motiv ergab sich aus dem noch rekonstruierbaren ikonografischen Programm von 1398, zeigt eine Scheibe doch noch eine Waagschale samt verdammten Seelen darauf.

Also vervollständigte Baldinger die Figur des Erzengels als apokalyptischen Seelenwäger in der Mitte. Nicht abbildhaft, wie könnte man auch, aber gerade nur so fragmentiert, dass es noch lesbar ist. In Kleinteiligkeit und Farbigkeit passte er sich dabei dem übrigen Fenster an. Eine sehr klassische Arbeit, hergestellt in der Glaswerkstätte des Stifts Schlierbach mit Glasbildnerin Kyra Kleinschmidt.

Eine kleine Ironie des Schicksals oder des Kunstmarkts ist, dass Baldinger dabei nicht auf das Wesensmal seiner Bilder zurückgreifen konnte, das er sich über die Jahre (zumindest in Österreich) gesichert hat: die Auflösung des Motivs durch grobe Verpixelung. Weist doch ausgerechnet die aufsehenerregendste Kirchenfenster-Gestaltung unserer Zeit diese Pixel-Ästhetik auf, die Fenster, die Gerhard Richter, zumindest in der zeitgenössischen Kunst der amtierende Papst, für den Kölner Dom gewählt hat. Ein Peter Baldinger konnte da nur klein bzw. fragmentiert beigeben.

Neuer Beirat für Toni Faber
Wie kommt ein Peter Baldinger überhaupt dazu, sich im Stephansdom einschreiben zu dürfen? Er hat einen guten Draht zu Dompfarrer Toni Faber, der ihn 2013 das erste künstlerische Fastentuch hier gestalten ließ, 2019 noch eine Intervention mit Papiermaché-Steinen im Mittelschiff. Nichts Skandalöses, dafür zwei philosophisch anregende, jedenfalls respektable Beiträge. Genau wie das Michaelsfenster. Der zumindest interne Skandal um das Fastentuch von Gottfried Helnwein 2024 bescherte dem umtriebigen Dompfarrer mittler. weile, wie die „Presse” erfuhr, einen künstlerischen Beirat, beordert vom Domkapitel: Bei künftigen Entscheidungen die Kunst betreffend sollen die beiden erfahrenen Geister Gustav Schörghofer (Künstlerseelsorger und Rektor Jesuitenkirche) und Johanna Schwanberger (Direktorin Dommuseum) ihm beistehen.

Foto: © Stephan Schönlaub
Text: © Almuth Spiegler | Die Presse 2. Mai 2025
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